Der Bericht der Verwaltung dient zur Kenntnis.
1. Einführung
Die Grundlagen für
den Kinderschutzauftrag des Jugendamtes wurden in der Vorlage 512/016/2023
dargelegt. Kindeswohlgefährdung durch
sexuelle Misshandlung ist in der Medienberichterstattung der letzten Jahre ein
häufig aufgegriffenes Thema. Von vielen Seiten werden Konzepte und Initiativen
aufgelegt, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt zu
verbessern (vgl. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/kinder-und-jugend/kinder-und-jugendschutz/schutz-vor-sexualisierter-gewalt/initiative-trau-dich/initiativen-zur-praevention-von-sexualisierter-gewalt-86322).
Sexuelle
Gewalt umfasst jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind gegen den
Willen des Kindes vorgenommen wird. Dabei wird durch Missbraucher*innen ihre
Macht- und Autoritätsposition, sowie Liebe und Abhängigkeit des Kindes,
ausgenutzt.
Laut
der Polizeilichen Kriminalstatistik 2022 des Bundesministerium des Inneren (Hg.),
waren 17.437 Kinder Opfer sexueller Gewalt (ca. 48 pro Tag).
Die Zahl der Fälle von sexuellem
Kindesmissbrauch betrug 15.520. Besonders
die Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen im Internet steigen
stetig an (2022: 48.800 Fälle, Steigerung gegenüber 2021 um 7%, im Vergleich zu
2018 mehr als verzwölffacht).
Sexuelle
Misshandlung findet sowohl im familiären und sozialen Umfeld, als auch in
Institutionen (Schule, Kirche, Einrichtungen) und gesellschaftlichen
Organisationen (Vereine, Verbände) statt. Laut Deutschem Jugendinstitut 2019
findet sexuelle Gewalt innerhalb der engsten Familie (ca. 25 %), sowie im
sozialen Nahraum beziehungsweise im weiteren Familien‐ und Bekanntenkreis (ca. 50 %), zum Beispiel durch Nachbarn
oder Personen aus Einrichtungen oder Vereinen, statt. Auf Fremdtäter entfallen
25% der Fälle. Die Geschlechterverteilung der Täter*innen ist 80-90% männlich
und 10-20% weiblich. Etwa zwei Drittel der Opfer sind Mädchen, ein Drittel
Jungen. (https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2019/Zahlen_Fakten_sexuelle%20Gewalt%20an%20Minderj%C3%A4hrigen.pdf).
Um Kinderschutz bei
diesem Thema wirkungsvoll auszuüben, ist neben der Intervention in konkreten
Fällen sexueller Gewalt, eine breit angelegte Präventionsarbeit sexualisierter
Gewalt notwendig. Diese ist Bestandteil der alltäglichen Arbeit aller
Einrichtungen der Jugendhilfe.
Sexualisierte
Gewalt beginnt bei anzüglichen Sprüchen, Gesten, heimlichen Fotos bis hin zu
unerwünschten Berührungen, exhibitionistischen Handlungen, sexueller Nötigung
und Vergewaltigung.
Prävention hat das
Ziel, Kinder und Jugendliche über ihre Rechte aufzuklären, sie zu stärken und
zu sensibilisieren und über Hilfsangebote zu informieren. Darüber hinaus ist es
wichtig, in Einrichtungen und Organisationen Schutzkonzepte und -prozesse zu
entwickeln, damit Gewalt und damit auch sexualisierter Gewalt kein Raum gegeben
wird.
2. Prävention sexualisierter Gewalt in
Erlangen
Im „Arbeitskreis
gegen sexualisierte Gewalt“, der seit über 15 Jahren besteht, sind
Fachkräfte aus verschiedenen Einrichtungen und Institutionen aus der Stadt
Erlangen und dem Landkreis ERH vernetzt. Der Arbeitskreis bildet einen
wichtigen „Baustein“ im Bereich Prävention von sexualisierter Gewalt. Er gibt
fachliche Impulse durch regelmäßige Fachtage und trägt durch die Vernetzung zu
einer breiten Wissensbasis bei, um bei Vorfällen schnell handlungswirksam sein
zu können. Teilnehmende des AK sind:
-
ASD Stadt Erlangen und Landkreis ERH
-
Integrierte Beratungsstelle Stadt + Caritas
Erziehungsberatungsstelle ERH,
-
Notruf und Beratung für vergewaltigte Mädchen und Frauen
e.V.
-
Koordinationsstelle frühe Hilfen und Jugendsozialarbeit an
Schulen, Stadt Erlangen
-
Kinderschutzbund
-
Jugendhilfeverbund Puckenhof
-
Polizei
-
STEP e.V. (Ambulante Familienhilfe)
-
Streetwork E-Werk
-
Stadtjugendring
In Erlangen werden
spezialisierte Angebote zur Prävention sexualisierter Gewalt durch die Jugend-
und Familienberatungsstelle des Stadtjugendamtes für Schulen und Einrichtungen
und durch die Fachstelle Prävention sexualisierter Gewalt in Vereinen und
Verbänden des Stadtjugendrings geleistet (getragen durch die Stadt Erlangen).
Beide Akteure sind durch jährliche regelmäßige und anlassbezogene
Austauschtreffen vernetzt.
Im Folgenden werden
die Leistungen der Jugend- und Familienberatungsstelle des Stadtjugendamtes und
der Fachberatung Prävention sexualisierter Gewalt in Vereinen und Verbänden des
Stadtjugendrings dargestellt.
2.1 Prävention
sexualisierter Gewalt durch die Jugend- und Familienberatungsstelle des
Stadtjugendamtes:
Der Schutz von
Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt ist dem Jugendamt Erlangen
ein zentrales Anliegen. In der Jugend- und Familienberatungsstelle (JFB)
gehören neben der einzelfallbezogenen Beratung präventive Angebote und
Vernetzungsaktivitäten zu den Aufgabenschwerpunkten.
Dabei ist die Prävention für die Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle ein
dauerhaftes Thema, das nur im Verbund mit Kindern und Jugendlichen, Eltern und
Fachkräften umgesetzt werden und gelingen kann. Das bedarfsorientierte und
praxisnahe Präventionsangebot der JFB im Bereich sexualisierte Gewalt umfasst
Maßnahmen sowohl für Kinder und Jugendliche, Eltern und Fachkräfte in
Kindertageseinrichtungen und Schulen:
Angebote für Kinder und Jugendliche
„Meine
Grenzen-deine Grenzen (MGDG)“ – ein Präventionsangebot für Jungen und Mädchen
von 12-18 Jahren.
Im (schulischen)
Alltag vieler Jugendlicher spielen Anmache und Mobbing eine große Rolle. Die
bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Jugendliche bereits sehr früh
Grenzüberschreitungen erleben, ob in der Schule, im Sportverein oder mit
Freunden. Viele Jugendliche haben schon Strategien entwickelt, wie sie gut für
sich sorgen können; andere sind jedoch stark überfordert und wissen nicht, wo
sie Hilfe erhalten können. Es ist wichtig, Kinder schon früh auf
Grenzverletzungen aufmerksam zu machen, sie für eigene Grenzen und die Grenzen
anderer zu sensibilisieren und sie zu ermutigen, bei Bedarf Hilfe zu suchen.
Der Präventionskurs
„MGDG“ ist ein Angebot des Jugendamtes Erlangen und des Amtes für Kinder und
Jugendliche des Landkreises Erlangen-Höchstadt in Kooperation mit der Caritas
Beratungsstelle in Herzogenaurach und dem Kreisjugendring Erlangen-Höchstadt.
Das Angebot richtet
sich an Schulen, Horte und Jugendeinrichtungen. In einem 1,5-stündigen Ablauf
wird in einem geschlechtsspezifischen Ansatz über Grenzen und
Grenzüberschreitungen gesprochen. Die Gruppen werden von jeweils zwei
gleichgeschlechtlichen Berater*innen geleitet.
Die Kurse lauten „Power
gegen Anmache“ (für Mädchen 12-18 Jahre) und
„Vom Jungen zum
Mann“ (für Jungen 14-18
Jahre). Ziel der Kurse ist es, ein Bewusstsein für die eigenen Grenzen und die
Grenzen der Anderen zu schaffen. Heutige Rollenbilder werden diskutiert und
hinterfragt. Die Jugendlichen werden bezüglich ihrer körperlichen
Selbstbestimmung sensibilisiert und lernen ihre eigenen Rechte kennen.
Informationen über Beratungsangebote und die Ermutigung, sich anzuvertrauen und
Hilfen in Anspruch zu nehmen, sind ein wichtiger Teil des Angebotes.
Angebote für Eltern
Präventive Angebote
für Eltern zum Thema sexualisierte Gewalt sind insbesondere Elternabende und
Vorträge. Auf Anfrage von Fachkräften aus Kindertageseinrichtungen und Schulen
gestalten die Mitarbeiter*innen der JFB Veranstaltungen, beispielsweise zu
Themen wie die psychosexuelle Entwicklung von Kindern oder sexuelle Übergriffe
unter Kindern etc.
Angebote für Fachkräfte
Im Rahmen von
präventiven Angeboten für Fachkräfte werden Fortbildungsveranstaltungen mit
Fachkräften in Kindertageseinrichtungen und Schulen ebenso durchgeführt, wie
Coachings bezüglich des Vorgehens bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt und
Möglichkeiten der Gesprächsführung mit Kindern und Jugendlichen.
Um Kinder und
Jugendliche zu schützen, sind grundlegende Informationen über sexuellen
Missbrauch und das Vorgehen bei Vorfällen wichtig, die die Mitarbeiter*innen
der JFB im Rahmen von Fachberatungen und Schulungen vermitteln.
Resümee
Die Angebote werden sehr gern, sowohl von Schulen als auch
den Schüler*innen angenommen, die Jugendlichen können sich in diesem Rahmen gut
öffnen und über ihre persönlichen Erfahrungen erzählen. So gaben z.B. 56% der
Schüler*innen an, bereits von Erwachsenen gegen ihren Willen angefasst worden
zu sein und 40% der Schüler*innen gaben negative „Anmacherfahrungen“ im
Internet an. Im 1.Schulhalbjahr 2023 nahmen 116 Schüler*innen
aus 4 verschiedenen Schulen am Präventionsprojekt „MGDG“ teil. 2019 vor der Coronapandemie wurden 12
Termine an verschiedenen Erlanger Schulen angeboten und dabei ca. 170 Schüler
erreicht. Insgesamt erreichte die Jugend- und Familienberatungsstelle im Jahr
2022 mit allen Präventionsangeboten an 212 verschiedenen Terminen
(Gruppenangebote, Elternabende etc.) 1533 Personen.
2.2 Fachberatung
Prävention sexualisierter Gewalt in Vereinen und Verbänden des Stadtjugendrings
Die Fachberatung
Prävention sexualisierter Gewalt in Vereinen und Verbänden (PSG) wurde 2015 mit
einer halben Stelle im Stadtjugendamt eingerichtet und ist seit Oktober 2021
beim Stadtjugendring direkt verortet. Es hat sich gezeigt, dass die enge
Anbindung an den Stadtjugendring den Kontakt zu den Vereinen und Verbänden
vereinfacht und der Zugang zum Thema Prävention dadurch niederschwelliger ist.
Strategiewechsel
von Konzept zum Prozess
Zwischen 2015 und 2021 war der Schwerpunkt der Arbeit der Fachberatung die Erarbeitung von Schutzkonzepten. Schutzkonzepte sind verschriftliche Schutzstrukturen, wie zum Beispiel ein Verhaltenskodex. Diese wurden von den Erwachsenen gelesen und mussten in einigen Vereinen auch von Trainer*innen unterschrieben werden. Mit der Zeit konnte festgestellt werden, dass nach Beendigung des Beratungsprozesses zum Thema PSG in den Vereinen, auch das Engagement innerhalb des Vereins deutlich nachlässt. Mit dem Schreiben des Schutzkonzeptes glaubten einige Vereine ihren Schutzauftragt erledigt zu haben. In der konkreten Arbeit zeigte sich aber, dass Schutzkonzepte mit Leben erfüllt werden müssen und der stetigen Überprüfung und Anpassung bedürfen, um Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Nicht zuletzt aufgrund der ehrenamtlichen Struktur ist es hilfreich, eine Unterstützungsstruktur von außen zu installieren, um diesen Prozess am Laufen zu halten.
Mit dem Schwerpunkt
auf Schutzprozesse, stehen regelmäßige Fort- und Weiterbildungen und
wiederholte Anpassung der Kinderschutzkonzepte im Fokus der Bemühungen. Kinder
und Jugendliche über die Schutzstrukturen zu informieren und ihnen Hilfe
anzubieten, gehört weiterhin zu den anspruchsvollen Herausforderungen.
Der Erfolgsfaktor
der letzten Zeit ist ein Strategiewechsel, indem man aus drei bis vier Vereinen
eine Art „Beratungs-Cluster“ macht. Durch die gemeinsame Beratung von
verschiedenen Vereinen gleichzeitig, erhöht sich die Motivation und auch die
Verbindlichkeit in den Vereinen. Dadurch wird ein Wechsel von Einzelberatungen
hin zu einer größeren Bewegung geschafft.
Am Beispiel Sport werden gerade acht Vereine gleichzeitig in zwei Gruppen
beraten (siehe Powerpoint).
Resümee
Die Stelle der
Fachberatung PSG angedockt am Jugendring ist bayernweit einzigartig und wird
aus diesem Grund von angegliederten Vereinen und Verbänden, sowie
Fachkolleg*innen umfassend angefragt und genutzt. Der Bedarf innerhalb der
Vereine an Beratung zum Thema Prävention sexualisierter Gewalt ist groß. Das
Interesse anhaltend intensiv. Mit den unterschiedlichen Angebotsformaten, wie
Einzelberatungen, Inhouse Fortbildungen im Verein, oder der Angebote innerhalb
des „Strategiewechsels“ wird versucht, den Bedürfnissen der Vereine gerecht zu
werden und individuell darauf einzugehen. Mit Angeboten im Jugendring bei
Juleica Schulungen, während des Juleica Kongresses und anderen Aktionen werden
junge Jugendleiter*innen bereits mit der Fachstelle vertraut und tragen dieses
Wissen mit einem Auftrag weiter in ihre Verbände.
In enger Abstimmung
mit dem Stadtjugendamt versucht der Stadtjugendring über einen Antrag bei der
„Aktion Mensch“ für die kommenden fünf Jahre eine weitere halbe Stelle für den
Bereich der Beratung zu beantragen. Der Schwerpunkt der beantragten Stelle ist,
ein Peer-to-Peer Konzept aufzubauen, da Kinder und Jugendliche in den Vereinen
dadurch noch besser erreicht werden können.
Anlagen:
Präsentation: SJR Vorlage PPP PSG JHA 21092023.ppt