Betreff
Kinderschutz in Erlangen: Prävention sexualisierter und sexueller Gewalt
Vorlage
513/011/2023
Aktenzeichen
V/513/511
Art
Mitteilung zur Kenntnis

Der Bericht der Verwaltung dient zur Kenntnis.


1. Einführung

 

Die Grundlagen für den Kinderschutzauftrag des Jugendamtes wurden in der Vorlage 512/016/2023 dargelegt. Kindeswohlgefährdung durch sexuelle Misshandlung ist in der Medienberichterstattung der letzten Jahre ein häufig aufgegriffenes Thema. Von vielen Seiten werden Konzepte und Initiativen aufgelegt, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt zu verbessern (vgl. https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/kinder-und-jugend/kinder-und-jugendschutz/schutz-vor-sexualisierter-gewalt/initiative-trau-dich/initiativen-zur-praevention-von-sexualisierter-gewalt-86322).

 

Sexuelle Gewalt umfasst jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird. Dabei wird durch Missbraucher*innen ihre Macht- und Autoritätsposition, sowie Liebe und Abhängigkeit des Kindes, ausgenutzt.

Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 2022 des Bundesministerium des Inneren (Hg.), waren 17.437 Kinder Opfer sexueller Gewalt (ca. 48 pro Tag).

Die Zahl der Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch betrug 15.520. Besonders die Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen im Internet steigen stetig an (2022: 48.800 Fälle, Steigerung gegenüber 2021 um 7%, im Vergleich zu 2018 mehr als verzwölffacht).

Sexuelle Misshandlung findet sowohl im familiären und sozialen Umfeld, als auch in Institutionen (Schule, Kirche, Einrichtungen) und gesellschaftlichen Organisationen (Vereine, Verbände) statt. Laut Deutschem Jugendinstitut 2019 findet sexuelle Gewalt innerhalb der engsten Familie (ca. 25 %), sowie im sozialen Nahraum beziehungsweise im weiteren Familien und Bekanntenkreis (ca. 50 %), zum Beispiel durch Nachbarn oder Personen aus Einrichtungen oder Vereinen, statt. Auf Fremdtäter entfallen 25% der Fälle. Die Geschlechterverteilung der Täter*innen ist 80-90% männlich und 10-20% weiblich. Etwa zwei Drittel der Opfer sind Mädchen, ein Drittel Jungen. (https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2019/Zahlen_Fakten_sexuelle%20Gewalt%20an%20Minderj%C3%A4hrigen.pdf).

 

Um Kinderschutz bei diesem Thema wirkungsvoll auszuüben, ist neben der Intervention in konkreten Fällen sexueller Gewalt, eine breit angelegte Präventionsarbeit sexualisierter Gewalt notwendig. Diese ist Bestandteil der alltäglichen Arbeit aller Einrichtungen der Jugendhilfe.

Sexualisierte Gewalt beginnt bei anzüglichen Sprüchen, Gesten, heimlichen Fotos bis hin zu unerwünschten Berührungen, exhibitionistischen Handlungen, sexueller Nötigung und Vergewaltigung.

 

Prävention hat das Ziel, Kinder und Jugendliche über ihre Rechte aufzuklären, sie zu stärken und zu sensibilisieren und über Hilfsangebote zu informieren. Darüber hinaus ist es wichtig, in Einrichtungen und Organisationen Schutzkonzepte und -prozesse zu entwickeln, damit Gewalt und damit auch sexualisierter Gewalt kein Raum gegeben wird.

 

2. Prävention sexualisierter Gewalt in Erlangen

Im „Arbeitskreis gegen sexualisierte Gewalt“, der seit über 15 Jahren besteht, sind Fachkräfte aus verschiedenen Einrichtungen und Institutionen aus der Stadt Erlangen und dem Landkreis ERH vernetzt. Der Arbeitskreis bildet einen wichtigen „Baustein“ im Bereich Prävention von sexualisierter Gewalt. Er gibt fachliche Impulse durch regelmäßige Fachtage und trägt durch die Vernetzung zu einer breiten Wissensbasis bei, um bei Vorfällen schnell handlungswirksam sein zu können. Teilnehmende des AK sind:

-          ASD Stadt Erlangen und Landkreis ERH

-          Integrierte Beratungsstelle Stadt + Caritas Erziehungsberatungsstelle ERH,

-          Notruf und Beratung für vergewaltigte Mädchen und Frauen e.V.

-          Koordinationsstelle frühe Hilfen und Jugendsozialarbeit an Schulen, Stadt Erlangen

-          Kinderschutzbund

-          Jugendhilfeverbund Puckenhof

-          Polizei

-          STEP e.V. (Ambulante Familienhilfe)

-          Streetwork E-Werk

-          Stadtjugendring

 

In Erlangen werden spezialisierte Angebote zur Prävention sexualisierter Gewalt durch die Jugend- und Familienberatungsstelle des Stadtjugendamtes für Schulen und Einrichtungen und durch die Fachstelle Prävention sexualisierter Gewalt in Vereinen und Verbänden des Stadtjugendrings geleistet (getragen durch die Stadt Erlangen). Beide Akteure sind durch jährliche regelmäßige und anlassbezogene Austauschtreffen vernetzt.

Im Folgenden werden die Leistungen der Jugend- und Familienberatungsstelle des Stadtjugendamtes und der Fachberatung Prävention sexualisierter Gewalt in Vereinen und Verbänden des Stadtjugendrings dargestellt.

 

2.1 Prävention sexualisierter Gewalt durch die Jugend- und Familienberatungsstelle des Stadtjugendamtes:

 

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt ist dem Jugendamt Erlangen ein zentrales Anliegen. In der Jugend- und Familienberatungsstelle (JFB) gehören neben der einzelfallbezogenen Beratung präventive Angebote und Vernetzungsaktivitäten zu den Aufgabenschwerpunkten. Dabei ist die Prävention für die Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle ein dauerhaftes Thema, das nur im Verbund mit Kindern und Jugendlichen, Eltern und Fachkräften umgesetzt werden und gelingen kann. Das bedarfsorientierte und praxisnahe Präventionsangebot der JFB im Bereich sexualisierte Gewalt umfasst Maßnahmen sowohl für Kinder und Jugendliche, Eltern und Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Schulen:

 

Angebote für Kinder und Jugendliche

„Meine Grenzen-deine Grenzen (MGDG)“ – ein Präventionsangebot für Jungen und Mädchen von 12-18 Jahren.

Im (schulischen) Alltag vieler Jugendlicher spielen Anmache und Mobbing eine große Rolle. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Jugendliche bereits sehr früh Grenzüberschreitungen erleben, ob in der Schule, im Sportverein oder mit Freunden. Viele Jugendliche haben schon Strategien entwickelt, wie sie gut für sich sorgen können; andere sind jedoch stark überfordert und wissen nicht, wo sie Hilfe erhalten können. Es ist wichtig, Kinder schon früh auf Grenzverletzungen aufmerksam zu machen, sie für eigene Grenzen und die Grenzen anderer zu sensibilisieren und sie zu ermutigen, bei Bedarf Hilfe zu suchen.

Der Präventionskurs „MGDG“ ist ein Angebot des Jugendamtes Erlangen und des Amtes für Kinder und Jugendliche des Landkreises Erlangen-Höchstadt in Kooperation mit der Caritas Beratungsstelle in Herzogenaurach und dem Kreisjugendring Erlangen-Höchstadt.

Das Angebot richtet sich an Schulen, Horte und Jugendeinrichtungen. In einem 1,5-stündigen Ablauf wird in einem geschlechtsspezifischen Ansatz über Grenzen und Grenzüberschreitungen gesprochen. Die Gruppen werden von jeweils zwei gleichgeschlechtlichen Berater*innen geleitet.

Die Kurse lauten „Power gegen Anmache“ (für Mädchen 12-18 Jahre) und

„Vom Jungen zum Mann“ (für Jungen 14-18 Jahre). Ziel der Kurse ist es, ein Bewusstsein für die eigenen Grenzen und die Grenzen der Anderen zu schaffen. Heutige Rollenbilder werden diskutiert und hinterfragt. Die Jugendlichen werden bezüglich ihrer körperlichen Selbstbestimmung sensibilisiert und lernen ihre eigenen Rechte kennen. Informationen über Beratungsangebote und die Ermutigung, sich anzuvertrauen und Hilfen in Anspruch zu nehmen, sind ein wichtiger Teil des Angebotes.

 

Angebote für Eltern

Präventive Angebote für Eltern zum Thema sexualisierte Gewalt sind insbesondere Elternabende und Vorträge. Auf Anfrage von Fachkräften aus Kindertageseinrichtungen und Schulen gestalten die Mitarbeiter*innen der JFB Veranstaltungen, beispielsweise zu Themen wie die psychosexuelle Entwicklung von Kindern oder sexuelle Übergriffe unter Kindern etc.

 

Angebote für Fachkräfte

Im Rahmen von präventiven Angeboten für Fachkräfte werden Fortbildungsveranstaltungen mit Fachkräften in Kindertageseinrichtungen und Schulen ebenso durchgeführt, wie Coachings bezüglich des Vorgehens bei Verdacht auf sexualisierte Gewalt und Möglichkeiten der Gesprächsführung mit Kindern und Jugendlichen.

Um Kinder und Jugendliche zu schützen, sind grundlegende Informationen über sexuellen Missbrauch und das Vorgehen bei Vorfällen wichtig, die die Mitarbeiter*innen der JFB im Rahmen von Fachberatungen und Schulungen vermitteln.

 

Resümee

Die Angebote werden sehr gern, sowohl von Schulen als auch den Schüler*innen angenommen, die Jugendlichen können sich in diesem Rahmen gut öffnen und über ihre persönlichen Erfahrungen erzählen. So gaben z.B. 56% der Schüler*innen an, bereits von Erwachsenen gegen ihren Willen angefasst worden zu sein und 40% der Schüler*innen gaben negative „Anmacherfahrungen“ im Internet an. Im 1.Schulhalbjahr 2023 nahmen 116 Schüler*innen aus 4 verschiedenen Schulen am Präventionsprojekt „MGDG“ teil. 2019 vor der Coronapandemie wurden 12 Termine an verschiedenen Erlanger Schulen angeboten und dabei ca. 170 Schüler erreicht. Insgesamt erreichte die Jugend- und Familienberatungsstelle im Jahr 2022 mit allen Präventionsangeboten an 212 verschiedenen Terminen (Gruppenangebote, Elternabende etc.) 1533 Personen.

 

 

2.2 Fachberatung Prävention sexualisierter Gewalt in Vereinen und Verbänden des Stadtjugendrings

 

Die Fachberatung Prävention sexualisierter Gewalt in Vereinen und Verbänden (PSG) wurde 2015 mit einer halben Stelle im Stadtjugendamt eingerichtet und ist seit Oktober 2021 beim Stadtjugendring direkt verortet. Es hat sich gezeigt, dass die enge Anbindung an den Stadtjugendring den Kontakt zu den Vereinen und Verbänden vereinfacht und der Zugang zum Thema Prävention dadurch niederschwelliger ist.

 

Strategiewechsel von Konzept zum Prozess

Zwischen 2015 und 2021 war der Schwerpunkt der Arbeit der Fachberatung die Erarbeitung von Schutzkonzepten. Schutzkonzepte sind verschriftliche Schutzstrukturen, wie zum Beispiel ein Verhaltenskodex. Diese wurden von den Erwachsenen gelesen und mussten in einigen Vereinen auch von Trainer*innen unterschrieben werden. Mit der Zeit konnte festgestellt werden, dass nach Beendigung des Beratungsprozesses zum Thema PSG in den Vereinen, auch das Engagement innerhalb des Vereins deutlich nachlässt. Mit dem Schreiben des Schutzkonzeptes glaubten einige Vereine ihren Schutzauftragt erledigt zu haben. In der konkreten Arbeit zeigte sich aber, dass Schutzkonzepte mit Leben erfüllt werden müssen und der stetigen Überprüfung und Anpassung bedürfen, um Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Nicht zuletzt aufgrund der ehrenamtlichen Struktur ist es hilfreich, eine Unterstützungsstruktur von außen zu installieren, um diesen Prozess am Laufen zu halten.

 

Mit dem Schwerpunkt auf Schutzprozesse, stehen regelmäßige Fort- und Weiterbildungen und wiederholte Anpassung der Kinderschutzkonzepte im Fokus der Bemühungen. Kinder und Jugendliche über die Schutzstrukturen zu informieren und ihnen Hilfe anzubieten, gehört weiterhin zu den anspruchsvollen Herausforderungen.

Der Erfolgsfaktor der letzten Zeit ist ein Strategiewechsel, indem man aus drei bis vier Vereinen eine Art „Beratungs-Cluster“ macht. Durch die gemeinsame Beratung von verschiedenen Vereinen gleichzeitig, erhöht sich die Motivation und auch die Verbindlichkeit in den Vereinen. Dadurch wird ein Wechsel von Einzelberatungen hin zu einer größeren Bewegung geschafft.
Am Beispiel Sport werden gerade acht Vereine gleichzeitig in zwei Gruppen beraten (siehe Powerpoint).

 

Resümee

Die Stelle der Fachberatung PSG angedockt am Jugendring ist bayernweit einzigartig und wird aus diesem Grund von angegliederten Vereinen und Verbänden, sowie Fachkolleg*innen umfassend angefragt und genutzt. Der Bedarf innerhalb der Vereine an Beratung zum Thema Prävention sexualisierter Gewalt ist groß. Das Interesse anhaltend intensiv. Mit den unterschiedlichen Angebotsformaten, wie Einzelberatungen, Inhouse Fortbildungen im Verein, oder der Angebote innerhalb des „Strategiewechsels“ wird versucht, den Bedürfnissen der Vereine gerecht zu werden und individuell darauf einzugehen. Mit Angeboten im Jugendring bei Juleica Schulungen, während des Juleica Kongresses und anderen Aktionen werden junge Jugendleiter*innen bereits mit der Fachstelle vertraut und tragen dieses Wissen mit einem Auftrag weiter in ihre Verbände.

 

In enger Abstimmung mit dem Stadtjugendamt versucht der Stadtjugendring über einen Antrag bei der „Aktion Mensch“ für die kommenden fünf Jahre eine weitere halbe Stelle für den Bereich der Beratung zu beantragen. Der Schwerpunkt der beantragten Stelle ist, ein Peer-to-Peer Konzept aufzubauen, da Kinder und Jugendliche in den Vereinen dadurch noch besser erreicht werden können.

 


Anlagen:

Präsentation: SJR Vorlage PPP PSG JHA 21092023.ppt