Betreff
SPD 024/2022 Berichtsantrag: Gesundheitskiosk in Erlangen
Vorlage
52/091/2022
Aktenzeichen
I/52
Art
Beschlussvorlage

Die Verwaltung berichtet über das Hamburger Modell des Gesundheitskiosks und stellt Ansätze vor, wie ein ähnliches Angebot der kostenfreien Beratung bzw. Elemente aus dem Modell in der Stadt Erlangen umsetzbar wären. Der vorgelegten Empfehlung, zunächst die weiteren Entwicklungen der Bedarfslage in Erlangen sowie die bundes- und landespolitischen Entwicklungen zum Gesundheitskiosk zu verfolgen, wird zugestimmt. Der Fraktionsantrag 024/2022 ist somit bearbeitet.


1.   Ergebnis/Wirkungen
(Welche Ergebnisse bzw. Wirkungen sollen erzielt werden?)

Der Gesundheitskiosk nach dem Hamburger Modell stellt eine niedrigschwellige Stadtteilinstitution in sozial benachteiligten Stadtgebieten dar. Im Kern führen dort sogenannte Community-Health Nurses (Gesundheitsfachkräfte mit Zusatzqualifikation) präventive und beratende Tätigkeiten für Menschen im Sozialraum durch. Die kostenlosen Angebote umfassen Beratungen zu Fragen der Gesundheit, Beratung vor und nach Arztgesprächen, Vermittlung von Hilfsangeboten, Vorträgen und Gesundheitskursen für Personen mit chronischen Erkrankungen. Die Einrichtung ist sehr niedrigschwellig angelegt, d. h. Ratsuchende können auch ohne Überweisung durch eine ärztliche Praxis direkt aus dem Wohngebiet in den Gesundheitskiosk kommen und ihre Gesundheitsanliegen besprechen. Die dort tätigen Community Health Nurses sind mehrsprachig und können daher auch Beratungen in der Muttersprache anbieten. Der Gesundheitskiosk ist vernetzt mit dem multiprofessionellen medizinischen Netzwerk und dem sozialen Hilfesystem der Stadt. Eine Vermittlung erfolgt z. B. zum Thema Sucht, Herzsport, Raucherentwöhnung oder auch finanzielle Hilfen. Umgekehrt können Patient*innen auch aus dem Netzwerk sozialer Dienste der Stadt an den Gesundheitskiosk vermittelt werden. Die Tätigkeiten der Community-Health Nurses gehen weit über einen Arztbesuch hinaus und werden laut Hamburger Modell bei Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Mehrfacherkrankungen, aber auch bei jungen Familien einschlägig als evidente Versorgungsverbesserung beschrieben. Die Ziele des Modells sind: Stärkung der Prävention und Gesundheitsförderung durch Förderung der Gesundheitskompetenz, eine langfristige Kostenreduzierung (z. B. Reduktion vermeidbarer Krankenhauseinweisungen), die Entlastung von Ärzt*innen sowie die Vernetzung des Gesundheits- und Sozialwesens.

 

Das Hamburger Modell wird über Selektivverträge mit mehreren Krankenkassen finanziert. Diese profitieren von der Unterstützungsleistung des Gesundheitskiosks. Durch die Einrichtung in Hamburg konnte ein Rückgang der vermeidbaren Krankenhauseinweisungen um 19 % erreicht werden. Außerdem wurde eine Steigerung der Patientenzufriedenheit sowie eine Verbesserung der aktiven Mitwirkung an therapeutischen Maßnahmen (Compliance), erreicht. Die Arbeitszufriedenheit und Vernetzung der Beteiligten der Gesundheitsversorgung konnte signifikant erhöht werden. Ärztliche Praxen, die an den Gesundheitskiosk überweisen, berichten über eine deutliche Entlastung (vgl. Hamburger Center for Health Economics, Universität Hamburg, Evaluationsbericht). Der Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat eine Überführung dieses Versorgungsmodells in die Regelversorgung empfohlen und leitet die Projektergebnisse an die Gesundheits- und Sozialministerien der Länder weiter (vgl. Pressemitteilung 04/2022). Laut aktuellster Mitteilung durch Bundesgesundheitsminister Lauterbach (vgl. Pressemitteilung 08/2022) wird an einer Gesetzesvorlage gearbeitet, wonach zukünftig vor allem die Krankenkassen und zu einem geringeren Prozentsatz die Kommunen in die Pflicht zur Finanzierung von Gesundheitskiosken genommen werden sollen.

 

Die Trägergesellschaft des Hamburger Gesundheitskiosks besteht neben dem Gesundheitskiosk e. V. aus dem Stadtteilärztenetz, der Stadtteilklinik und dem Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (Virchow-Bund). Aus dem Bericht der Hamburger Einrichtung geht hervor, dass die Ärzteschaft der Grundversorgung (allgemeinmedizinische, gynäkologische und kinderheilkundliche Praxen) die zentralen Partner*innen bei der Entwicklung des Modells waren. Denn die Tätigkeiten des Gesundheitskiosks werden zu einem hohen Anteil im Auftrag der Ärzt*innen durchgeführt. Rund 60 % der Patient*innen des Gesundheitskiosks werden durch die Ärzt*innen an den Gesundheitskiosk überwiesen.

 

Festgehalten werden kann: Ein Gesundheitskiosk stellt eine Ergänzung zur ärztlichen Grundversorgung dar. Die über einen Arztbesuch hinausgehende mehrsprachige niedrigschwellige Gesundheitsberatung, bietet das Potenzial, Versorgungslücken insbesondere bei vulnerablen Zielgruppen zu schließen. Dies findet laut Hamburger Modell zu einem hohen Anteil in ärztlichem Auftrag statt. Ein Gesundheitskiosk ersetzt keine hausärztliche Praxis und umgekehrt.

 

Angelehnt an das Hamburger Modell wurden im Frühjahr 2022 in der Stadt Essen (Gesundheit für Essen gGmbH in Altenessen) und in der Städteregion Aachen (Gesundheitskiosk Städteregion Aachen) Gesundheitskioske eröffnet.

In Bremen wird seit Beginn 2021 ein Modell umgesetzt, bei dem Gesundheitsfachkräfte als niedrigschwellige Ansprechpersonen in sozial benachteiligten Stadtteilen zielgruppenorientiert beraten und sensibilisieren. Sie sind also „mobil“ und leisten aufsuchende Arbeit im öffentlichen Raum, ohne die Einrichtung eines Gesundheitskiosks im Hintergrund. Die Gesundheitsfachkräfte bauen gesundheitsbezogene Strukturen auf. Sie fördern die Gesundheitskompetenz und die gesundheitliche Chancengleichheit der Bevölkerung. Finanziert wird das Projekt vom Bremer Senat.

 

2.   Programme / Produkte / Leistungen / Auflagen
(Was soll getan werden, um die Ergebnisse bzw. Wirkungen zu erzielen?)

Für die Stadt Erlangen soll geprüft werden, ob und wie ein ähnliches Angebot der kostenfreien Beratung bzw. Elemente aus dem Hamburger Modell umsetzbar wären. Dazu ist ein Blick auf die soziale und gesundheitliche Ausgangslage erforderlich. In Erlangen besteht laut Kassenärztlicher Vereinigung Bayern (KVB) eine Voll- bzw. Überversorgung an niedergelassenen Hausärzt*innen. Aus dem Sozialbericht 2021 des Amtes für Statistik und Stadtforschung der Stadt Erlangen wird deutlich, dass es einen negativen Zusammenhang zwischen schwieriger sozialer Lage und dem Gesundheitszustand in Erlangen gibt (Quelle: Sozialbericht 2021 der Stadt Erlangen, Statistik aktuell 5/2021). Die Lebensverhältnisse und damit auch die gesundheitlichen Chancen von finanziell gut gestellten Menschen in Erlangen stehen in starkem Kontrast zu Menschen, die am Existenzminimum leben. Aus Erfahrungen der Träger wird dies zum Beispiel im Bereich der Kinder- und Familieneinrichtungen in Stadtgebieten mit sozialen Herausforderungen (u. a. unter Belastungen der Pandemie und Folgen der Ukrainekrise) besonders deutlich. Erlangen hat mit 38 % einen hohen Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund (Quelle: Stadt Erlangen, Statistik aktuell 1/2022). Damit gehen unterschiedliche Erklärungsansätze und Zugänge zu Gesundheitsthemen einher, die berücksichtigt werden müssen. Im Bereich der Sprachmittlerdienstleistungen (Sprachmittlerpool von Stadt und Landkreis) werden mehrheitlich Leistungen angefragt, die gesundheitliche, soziale bzw. finanzielle Themen beinhalten. Auch die Bedarfsanalyse der Gesundheitsregionplus zeigt auf: Es gibt einen Bedarf an niedrigschwelligen Ansätzen für Menschen in sogenannten schwierigen Lebenslagen mit der Prämisse, die gesundheitliche Chancengleichheit der (Stadt-)bevölkerung zu stärken.

 

Die weitere Abklärung der Situation in Erlangen zeigte: Laut Vertreter*innen der Hausärzt*innen in Erlangen werden einige Praxen aktuell durch sogenannte Versorgungsassistent*innen in der Hausarztpraxis (kurz „VERAH“) unterstützt. Einen Bedarf für einen Gesundheitskiosk in Erlangen sehen die Vertreter*innen der hausärztlichen Praxen aktuell nicht. Das VERAH-Modell wird als zentrale Unterstützung für die Ärzt*innen in ihrer Tätigkeit beschrieben und umfasst ein breites Profil. Die „VERAHs“ sind erfahrende Medizinische Fachangestellte, die eine qualifizierte Weiterbildung absolviert haben. Sie übernehmen arztentlastende Tätigkeiten. Dabei unterstützen sie bei der Sicherstellung einer umfassenden Betreuung von (älteren) multimorbiden Patient*innen anhand von Diagnose-, Therapie- und Präventionsmaßnahmen. Sie erstellen individuelle Versorgungspläne, führen delegierte Hausbesuche durch und interagieren als Schnittstelle zwischen Ärzt*innen, Patient*innen und den sozialen Netzwerken (vgl. Institut für hausärztliche Fortbildung im Deutschen Hausärzteverband (IHF) e.V.: www.verah.de). Laut Angaben des IHFs gibt es in der Stadt und im Landkreis zusammen genommen 25 VERAHS. In der Stadt Erlangen gibt es bislang keine Übersicht, in welchen Praxen VERAHs tätig sind. Auch fehlen Informationen dazu, wie ausgeprägt die Vernetzung mit sozialen Diensten und Einrichtungen der Stadt ist.

VERAHs erreichen Patient*innen, die in die Praxis kommen. Menschen, die den Weg in die Arztpraxis aufgrund unterschiedlichster sozialer, kultureller und oder sprachlicher Hürden nicht finden, können von der Arbeit der VERAH daher nicht profitieren. Für Bürger*innen ist zudem nicht ersichtlich, wo eine Unterstützung durch eine VERAH verfügbar ist. Offen ist, inwiefern VERAHs zeitlichen Ressourcen und Kompetenzen zur erweiterten Vernetzung von Gesundheitsförderung und -versorgung einbringen können. Festzuhalten gilt, die VERAHs leisten einen wichtigen Beitrag in der arztentlastenden umfassenden Patientenbetreuung, verfolgen aber einen anderen Ansatz als der Gesundheitskiosk als niedrigschwellige Anlaufstelle im Stadtteil. Zukünftige Aufgaben könnten die stärkere Bekanntmachung von VERAHs in Erlangen und die Förderung der Vernetzung der VERAHS in den Stadtteil hinein sein.

 

3.   Prozesse und Strukturen
(Wie sollen die Programme / Leistungsangebote erbracht werden?)

Um für die Stadt Erlangen das Modell eines Gesundheitskiosks umfänglich zu prüfen und zu entwickeln, ist eine langfristige Planung erforderlich, die personelle und finanzielle Ressourcen berücksichtigt. Nach Auswertung der Erfahrungsberichte aus Hamburg und Essen wird dafür eine koordinierende Stelle mit moderierendem Charakter empfohlen. Diese sollte idealerweise bei der Kommune angesiedelt sein. In der Stadt Essen wurden gute Erfahrungen mit einem breit angelegten Beteiligungsprozess zur Planung mit Dauer von einem Jahr gemacht. Der Beteiligungsprozess wurde durch eine externe Beratung begleitet. Dabei wurden alle wichtigen Partner*innen des Gesundheits- uns Sozialwesens einbezogen. Begonnen wurde der Prozess mit einer detaillierten Umsetzungsanalyse, bei der die regionalen Daten zum Bedarf ausgewertet und ein Stadtgebiet ausfindig gemacht wurde. Im weiteren Prozess wurden die Abklärungen für die Gründung einer Trägergesellschaft des Gesundheitskiosks geführt und die Grundlagen für die Vertrags- und Finanzierungsgestaltung geschaffen. Mit den Krankenkassen wurden Selektivverträge geschlossen. In einem abschließenden Modul ging es um die konkrete Suche einer Immobilie sowie die Beschaffung von Personal und Software.

 

Abschließend kann zur Situation in Erlangen festgehalten werden: Der VERAH-Ansatz wird von einigen Hausärzt*innen in Erlangen bereits erfolgreich umgesetzt. Er bietet Perspektiven für eine Stärkung der umfassenderen Patientenversorgung und Vernetzung in die Stadtteile hinein.

Der Gesundheitskiosk ist ein Modell mit vielen Potenzialen für die Verbesserung der mehrsprachigen, niedrigschwelligen und multiprofessionellen Gesundheitsberatung. Dies bezieht sich insbesondere auf Personengruppen, die Barrieren im Zugang zu Gesundheitsinformationen und gesundheitlicher Versorgung begegnen. Mit dem Ziel der Verbesserung der gesundheitlichen Chancengleichheit passt die Vorgehensweise des Gesundheitskiosks zur gemeinsamen Gesundheitsstrategie von Stadt und Landkreis. Dabei ist zu beachten: Mit der Einrichtung eines Gesundheitskiosks gehen ein hoher finanzieller Aufwand bzw. eine umfangreiche Klärung von Abrechnungsfragen mit den Krankenkassen als Kostenträger einher. Die Erarbeitung von Rahmenbedingungen erfordert eine intensive Vorarbeit. Entwicklungen in den Stadtteilen (z. B. Veränderungen durch Nachverdichtung) sind abzuwarten. Das Thema sollte noch nicht unmittelbar angegangen werden. Eine mögliche Weiterentwicklung der Empfehlungen des G-BA auf Bundes- und Landesebene im Hinblick auf Fördermöglichkeiten für Kommunen sollte abgewartet werden.

 

4.   Klimaschutz:

 

Entscheidungsrelevante Auswirkungen auf den Klimaschutz:

 

             ja, positiv*

             ja, negativ*

X             nein

 

Wenn ja, negativ:

Bestehen alternative Handlungsoptionen?

 

              ja*

              nein*

 

*Erläuterungen dazu sind in der Begründung aufzuführen.

 

 

Falls es sich um negative Auswirkungen auf den Klimaschutz handelt und eine alternative Handlungsoption nicht vorhanden ist bzw. dem Stadtrat nicht zur Entscheidung vorgeschlagen werden soll, ist eine Begründung zu formulieren.

 

 

5.   Ressourcen
(Welche Ressourcen sind zur Realisierung des Leistungsangebotes erforderlich?)

Investitionskosten:

bei IPNr.:

Sachkosten:

bei Sachkonto:

Personalkosten (brutto):

bei Sachkonto:

Folgekosten

bei Sachkonto:

Korrespondierende Einnahmen

bei Sachkonto:

Weitere Ressourcen

 

 

Haushaltsmittel

X               werden nicht benötigt

              sind vorhanden auf IvP-Nr.      

                        bzw. im Budget auf Kst/KTr/Sk        

                    sind nicht vorhanden


Anlagen:        Fraktionsantrag SPD 024/2022