Der Bericht der Verwaltung dient zur Kenntnis.
Erlanger
Dyskalkulie-Projekt
Ein Projekt zur Förderung von rechenschwachen Kindern der
ersten und zweiten Klasse
Ergebnisse,
Auswertung und Interpretation im Zeitraum der Schuljahre 2016/17 und 2017/18
Kurzbeschreibung
Das
Projekt Dyskalkulie wurde bereits mehrfach im JHA vorgestellt. In der
Ausschusssitzung November 2017 wurden die Ergebnisse der Evaluation des ersten
Projektdurchgangs vorgestellt (Vorlage 513/011/2017). Im Folgenden sollen die
gesammelten Ergebnisse der zwei Pilot-Projektdurchläufe vorgestellt werden.
Abschließend werden die aktuelle Situation und der zukünftige Verlauf
aufgezeigt.
In den Schuljahren 2016/17 und 2017/18 wurden an drei
Erlanger Grundschulen ein Projekt zur Förderung rechenschwacher Kinder
durchgeführt. Ziel des Projekts war, durch die rechtzeitige Identifizierung
rechenschwacher Kinder eine Verschlechterung ihrer Situation (z.B. seelische
Behinderung) zu verhindern und andere Folgeprobleme erst gar nicht entstehen zu
lassen.
Nach
einer psychometrischen Eingangsdiagnostik wurden die Kinder in Kleinstgruppen
nach einem individuellen Förderplan durch speziell geschulte Fachkräfte
gefördert. Die qualitative und quantitative Auswertung konnte einen positiven
Effekt in beiden Durchgängen der Förderung zeigen.
Vorgehen
Alle
Lehrer*innen der teilnehmenden Schulen konnten Kinder mit Rechenproblemen an
die zuständigen Kolleginnen melden. Mit dem Einverständnis der Eltern fand eine
psychometrische Eingangstestung statt. Zusätzlich wurde eine
Leistungseinschätzung der unterrichtenden Lehrkräfte abgefragt. Für das Projekt
wurden Kinder mit durchschnittlichem kognitivem Niveau und
unterdurchschnittlichen mathematischen Leistungen berücksichtigt.
Nach
Zustimmung der Eltern startete die Förderung zu Beginn des Schuljahres
2016/2017 mit dem ersten Projektdurchlauf und zu Beginn des Schuljahres 2017/18
mit dem zweiten Projektdurchlauf. Teilnehmende Kinder erhielten in der Regel
ein bis zwei wöchentliche Fördereinheiten à 45 Minuten in Zweiergruppen
(vereinzelt in Einzelförderung). Die Förderung wurde durch acht besonders
geschulte und über das Schuljahr hinweg fachlich speziell begleitete Lehrkräfte
geleistet. Diese Lehrkräfte erbrachten ihre
Leistungen im Rahmen einer Nebentätigkeit und wurden durch die Stadt Erlangen
finanziert. Für jedes Kind wurde anhand der diagnostischen Ergebnisse ein
individueller Förderplan erstellt.
Um den jeweils aktuellen Leistungsstand zu erfassen, wurden
gegen Ende des jeweiligen Schuljahres alle teilnehmenden Kinder erneut
psychometrisch getestet und zusätzlich zum Projekt befragt.
Begleitender Arbeitskreis
Die teilnehmenden Förderkräfte trafen sich in alle vier bis
sechs Wochen und besprachen aktuelle Förderverläufe und aufgekommene Probleme (supervisorische
Elemente). Der Arbeitskreis wurde von
einer Beratungslehrerin, einer Schulpsychologin sowie einem Psychologen der
städtischen Erziehungsberatungsstelle (zertifizierter Dyskalkulietherapeut)
geleitet. Neben der Besprechung der individuellen inhaltlichen Arbeit erhielten
die Teilnehmerinnen fachlichen Input zu didaktischen und fördertechnischen
Inhalten sowie zu diversen Fördermaterialien.
Gruppenzusammensetzung
|
Schule
A |
Schule
B |
Schule
C |
Gesamt |
Schuljahr
2016/17 |
8
Kinder |
4
Kinder |
4
Kinder |
16
bzw. 13 (s.u.) |
Schuljahr
2017/18 |
2
Kinder |
4
Kinder |
4
Kinder |
10 |
Tabelle 1:
Gruppenzusammensetzung
Drei
Kinder aus dem Schuljahr 2016/17 konnten wegen unzureichender Mitwirkung und
anderer primärer Probleme/Erkrankungen bei der Auswertung nicht berücksichtigt
werden.
Fördereinheiten und Kosten
Insgesamt fanden in den zwei Projektdurchläufen über 685
Fördereinheiten statt. Die Kosten der abgerechneten Fördereinheiten betrugen 20.070 €. Nicht erfasst wurden Kosten für Verwaltung und
die Personalkosten der leitenden Beratungslehrkraft, Schulpsychologin und der
städtischen Psychologen aus der Erziehungsberatungsstelle.
Quantitative Auswertung
Aufgrund
der Verwendung wissenschaftlicher Testverfahren zu Beginn und am Ende der
Projektdurchgänge, war es möglich eine quantitative Auswertung vorzunehmen.
Testverfahren
Als
Testverfahren kamen die BADYS 1-4 (R) (ein wissenschaftlich fundierter
Rechentest) und der CFT 1-R (ein wissenschaftlich fundierter Intelligenztest)
zum Einsatz.
T-Werte
Bevor auf die Ergebnisse des Projektes eingegangen wird, ist
es wichtig anzumerken, dass sich der Maßstab der Testverfahren von der ersten
zur zweiten Testerhebung hin verschärft hat. Am Ende der ersten Jahrgangstufe
wurden die Kinder mit anderen Kindern aus der ersten Klasse verglichen und nur
im Zahlenraum bis 20 getestet. Bei der Abschlusstestung wurden Zahlen und
Rechenoperationen (auch Multiplikation und Division) im Zahlenraum bis 100
abgefragt und die teilnehmenden Kinder mit dem Leistungsstand von anderen
Kindern zum Ende der zweiten Klasse verglichen. Sie wurden also mit der nun
zutreffenden Normstichprobe verglichen.
Die Leistungen der Kinder
im Rechentest werden im Folgenden in T-Werten angegeben. Der T-Wert ist ein Maß
dafür, wie gut ein Ergebnis im Vergleich zu einer Normstichprobe ist. Löst ein
Zweitklässler im Test beispielsweise 9 Aufgaben richtig, kann noch keine
Aussage getroffen werden, ob dies gut oder schlecht ist. Wir müssen erst
wissen, wie viel richtig gelöste Aufgaben für einen Zweitklässler normal sind.
Lösen 1000 Zweitklässler (Normstichprobe) im Durchschnitt 9 Aufgaben richtig,
entsprechen 9 richtig gelöste Aufgaben einem T-Wert von 50. Anhand der
Normstichprobe können nun die Abweichungen vom Durchschnitt in T-Werte
übersetzt werden. T-Werte von 40 bis 60 sind im Normalbereich und werden als
durchschnittlich bezeichnet. T-Werte kleiner gleich 40 bezeichnet man als
unterdurchschnittlich.
Anteil der Kinder mit einem
unterdurchschnittlichen (≤ 40 T-Wertpunkte) Ergebnis im Mathetest
Kinder mit einem T-Wert kleiner
gleich 40 gehören zu den schlechtesten 16 % beim Rechnen in ihrem Jahrgang. Wie
in Abbildung 1 ersichtlich, konnte der Anteil der Kinder, auf die das zutrifft,
in beiden Durchgängen des Förderprojekts deutlich verringert werden. Betrachtet
man beide Jahrgänge zusammen, zeigt sich eine Halbierung des Anteils an
unterdurchschnittlichen Rechnern.
Abbildung 1: Anteil der Kinder mit einem unterdurchschnittlichen (≤ 40
T-Wertpunkte) Ergebnis im Mathetest; vor und nach der Förderung
Anteil der Kinder, welche die
Kriterien für eine Dyskalkulie erfüllen
Von einer Dyskalkulie wird
in der vorliegenden Untersuchung dann ausgegangen, wenn:
1. Ein T-Wert kleiner
gleich 37,2 im Rechentest vorliegt.
2. Der Abstand zur
Intelligenz mindestens 12 T-Wertpunkte beträgt.
Diese Vorgaben orientieren
sich an den Empfehlungen des Landesjugendamtes und sind somit für eine
Fördermaßnahme nach § 35a relevant.
Abbildung 2 stellt den
Anteil der Kinder, auf welche diese Kriterien zutreffen, dar. In beiden
Durchgängen konnte dieser verringert werden. Betrachtet man beide
Fördergruppenjahrgänge zusammen, erfüllten vor der Förderung 12 Kinder die
Kriterien, nach der Förderung nur noch 8 Kinder. Dies ist allein auf die
Verbesserung der Rechenleistung zurückzuführen, da der IQ nur zu Beginn der
Förderung gemessen wurde.
Abbildung 2: Anteil
der Kinder, welche die Kriterien für eine Dyskalkulie erfüllen; vor und nach
der Förderung
T-Wertänderungen
Abbildung 3 zeigt die
Veränderung in den T-Werten zwischen erster und zweiter Messung. Die positiven
Werte stellen eine individuelle Verbesserung dar, die negativen eine
Verschlechterung. Wie eindrücklich zu sehen ist, haben sich 18 der 23 Kinder
verbessert. Je höher die Werte sind, desto größer ist die Veränderung.
Abbildung 3: T-Wertänderungen zwischen Start und Ende der Förderung
Statistische
Absicherung der T-Wertänderungen
Ohne Förderung wären keine
bzw. gleichviel positive und negative T-Wert-Unterschiede zu erwarten gewesen.
Mit dem Vorzeichentest wurde überprüft, ob die vorwiegend positiven
Veränderungen statistisch signifikant auf die Förderung zurückzuführen sind.
Drei unterschiedliche Auswertungen sind möglich.
1. Überprüfung für das Schuljahr
2016/17 (13 teilnehmende Kinder):
Die Wahrscheinlichkeit bei
13 Kindern mindestens 10 Verbesserungen zu erhalten, beträgt ohne Förderung 4,6
%. Hieraus kann man folgern, dass die Verbesserungen auf das Förderprojekt
zurückzuführen sind.
2. Überprüfung für das Schuljahr
2017/18 (10 teilnehmende Kinder):
Die Wahrscheinlichkeit bei
10 Kindern mindestens 8 Verbesserungen zu erhalten, beträgt ohne Förderung 5,5
%. Hieraus kann man nach statistischen Konventionen nicht mehr eindeutig
folgern, dass die Verbesserungen auf das Förderprojekt zurückzuführen sind.
3. Überprüfung beider
Förderzeiträume (23 teilnehmende
Kinder):
Die Wahrscheinlichkeit bei
23 Kindern mindestens 18 Verbesserungen zu erhalten, beträgt ohne Förderung 0,5
%. Hier kann man von einem statistisch hoch signifikanten Ergebnis sprechen.
Dies kann man so interpretieren, dass die Förderung wirkt und die
Verbesserungen nicht zufällig zustande kamen.
Zusammenfassung der zwei
Pilot-Projektdurchläufe
Durch das Förderprojekt Dyskalkulie konnten rechenschwache
Kinder der ersten Klasse identifiziert und im Verlauf des zweiten Schuljahres
adäquat gefördert werden. Die Wirksamkeit der individuellen Förderung konnte in der Auswertung quantitativ
nachgewiesen werden. Zudem konnten erfahrene Lehrkräfte qualitativ eine
positive Entwicklung der geförderten Kinder feststellen. Folglich ist davon
auszugehen, dass das Projekt den Kindern half, sowohl ihre mathematischen
Schwierigkeiten als auch ihre psychischen Belastungen zu verringern.
Bei diesem Pilotprojekt handelte es sich um eine freiwillige
Leistung der Stadt Erlangen. Die Zusammenarbeit von Jugendamt und Schule war und ist für
beide Seiten ein großer Gewinn. Die regelmäßigen Treffen im begleitenden
Arbeitskreis konnten eine hohe Qualität des Projektes gewährleisten. Ein
weiterer Qualitätsfaktor war die psychometrische Datenerhebung mit
standardisierten Testverfahren.
Aktueller Projektstand und
Ausblick
Erweiterung des Projektes von schulischer Seite im Rahmen
der Förderberatungsstelle für Rechenschwäche
Ab dem
Schuljahr 2018/2019 wurde auf Grundlage des
KMS III.3-BO 7202.4-4b.80378 vom 31.07.2017 unter der Leitung der
Schulpsychologin Tanja Feder-Scherbaum und dem
betreuenden Schulamtsdirektor Siegfried
David im Rahmen der Förderstelle Rechenschwäche an jeder der 15 Erlanger
Grundschulen 1 Wochenstunde aus dem
Überhang für die Förderung von Kindern die Schwierigkeiten im Bereich
Mathematik haben, bereitgestellt. Erstklässler mit Problemen im mathematischen
Bereich sollten erkannt und anschließend in Einzel- bzw. Kleinstgruppen
gefördert werden. Dieses Erstklass-Projekt wurde durch die bisherigen Leitungen
der AG Dyskalkulie fachlich begleitet.
Die Integrierte Beratungsstelle übernahm die Funktion eines
Kooperationspartners und stellte bei Bedarf Räume für die regelmäßigen
Besprechungen, gab fachlichen Input auf psychologischer und
therapeutischer Basis und bot Fallsupervisionsmöglichkeiten für die
teilnehmenden Lehrkräfte an. Eine Einbindung der einzelnen Klassenlehrkräfte
und der Eltern war ebenfalls ein Bestandteil dieses Projektes. Zudem
ermöglichte es die Stadt Erlangen jeder der 17 teilnehmenden Lehrkräfte die
Anzahl der Fördereinheiten auf
Honorarbasis um eine Einheit zu erhöhen (dies entspricht einer möglichen
Verdoppelung der Fördereinheiten). Dieses städtische
Angebot nahmen im Schuljahr 2018/2019 drei Lehrkräfte an. Dieses
Erstklass-Projekt wird im Schuljahr 2019/2020 fortgeführt und auch das
städtische „Aufstockungsangebot“ soll fortgesetzt werden.
Flächendeckendes Angebot
des städtischen Pilot-Projektes
Parallel
wurde das bisherige städtische Zweitklass-Pilot-Projekt evaluiert und eine
flächendeckende Projektfortführung bzw. –ausweitung bei allen Schulleitungen
der Erlanger Grundschulen, in einer eigens dafür einberufenen
Dienstbesprechung, für das Schuljahr 2019/2020 beworben. Im Mai wurden die
Rückmeldungen über eine Partizipation an diesem Projekt von allen Erlanger
Grundschulen eingeholt. Insgesamt haben 6 Lehrkräfte aus 5 Erlanger
Grundschulen ihre Teilnahme an diesem Projekt gemeldet. Da das bisherige
städtische Zweitklass-Pilot-Projekt gute Ergebnisse erzielt hat, soll es im
Schuljahr 2019/2020 in bewährter Weise an den 5 teilnehmenden Schulen
fortgeführt werden.
Die
Kooperation mit dem staatlichen Schulamt kann bei beiden Projekten nur als sehr
gut, konstruktiv und gewinnbringend für beide Seiten beschrieben werden.
Bei Rückfragen steht der Leiter der Integrierten Beratungsstelle jederzeit zur Verfügung.
Anlagen: