Betreff
Kein Zwang zur Rente mit Abschlägen wegen Hartz IV; Antrag der Erlanger Linken Fraktion vom 12.09.2018
Vorlage
55/029/2018
Aktenzeichen
V/55/WG022
Art
Beschlussvorlage

1. Das Jobcenter der Stadt Erlangen vollzieht bei der Aufforderung zur Inanspruchnahme einer

    Altersrente mit Abschlägen die gesetzlichen Regelungen.

2. Es wird der vorhandene Ermessensspielraum genutzt, um den Zeitpunkt zur Aufforderung zur

    Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente zu bestimmen.

 

3. Der Antrag der Erlanger Linken - Fraktion Nr. 115/2018 ist hiermit bearbeitet.


1.

Leistungsberechtigte nach dem SGB II sind gem. § 12a SGB II verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Sofern Leistungsberechtigte der Verpflichtung nicht nachkommen, können die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 5 Abs. 3 SGB II einen entsprechenden Antrag für die leistungsberechtigte Person stellen.

§ 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II schränkt diesen Grundsatz nach § 12a Satz 1 SGB II dahingehend ein, dass Leistungsberechtigte nicht verpflichtet sind, bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Nach Vollendung des 63. Lebensjahres gilt jedoch die Pflicht der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente. Nach § 1 der nach § 13 Abs. 2 SGB II erlassenen Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV) sind Hilfebedürftige nach Vollendung des 63. Lebensjahres nicht verpflichtet, eine Altersrente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen, wenn die Inanspruchnahme unbillig wäre.

Unbilligkeit im Sinne der UnbilligkeitsV liegt in folgenden Fällen vor:

  • Bezieher von Arbeitslosengeld I, die aufstockend Arbeitslosengeld II erhalten, für die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld I;
  • Leistungsberechtigte die in nächster Zukunft einen Anspruch auf abschlagsfreie Altersrente haben;
  • eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bzw. eine gleichwertige Tätigkeit ausüben (Bruttoeinkommen über 450,00 €), wobei der zeitliche Umfang der Beschäftigung mindestens die Hälfte der im Rahmen der Leistungsfähigkeit möglichen Arbeitszeit in Anspruch nimmt;
  • Leistungsberechtigte, die eine nicht nur vorübergehende sv-pflichtige Beschäftigung oder gleichwertige Erwerbstätigkeit im oben genannten Umfang in den nächsten 3 Monaten nachweislich in Aussicht haben;
  • Leistungsberechtigte durch Bezug einer verminderten Altersrente (d.h. dadurch) hilfebedürftig im Sinne der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII werden würden (Geltung ab 01.01.2017). Dies liegt insbesondere vor, wenn 70% der zu erwartenden Regelaltersrente den aktuellen SGB II – Bedarf der betroffenen Person nicht decken können. Auszugehen ist von dem Regelaltersrentenbetrag aus der letzten erstellten ausführlichen Rentenauskunft. Anderes Einkommen als die zukünftige Altersrente ist nicht in die Prüfung einzubeziehen. Ändern sich die Bedarfe der betroffenen Person, ist der Fall erneut zu prüfen.

Wäre die leistungsberechtigte Person nach dem Ergebnis der pauschalierten Prüfung zu einer Inanspruchnahme der geminderten Altersrente aufzufordern, ist zu prüfen, ob ggf. aus anderen Gründen mit einer Hilfebedürftigkeit im Alter („insbesondere“) zu rechnen ist. Dies wären unter anderem Änderungen in der Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft, absehbare notwendige Mehrbedarfe. Liegt die zu erwartende Altersrente nach dem Ergebnis der Prüfung nur knapp oberhalb des aktuellen SGB II - Bedarfs (bis zu 10% des Regelbedarfes), ist von einer Aufforderung zur Inanspruchnahme einer geminderten Altersrente im Ermessenswege abzusehen.

 

Das Jobcenter der Stadt Erlangen legt den letztgenannten Unbilligkeitsgrund in der Weise aus, dass gerade die pauschalierte Prüfung auch auf sogenannte „Minirenten“ anzuwenden ist. Dies hat zur Folge, dass ein Großteil der betroffenen Personen im Leistungsbezug des SGB II verbleibt, weil 70% der zu erwartenden Altersrente den aktuellen SGB II- Bedarf nicht deckt. Der Verordnungsgeber hat diese Sichtweise umsetzen wollen, um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren und einen Teil gegen die drohende Altersarmut beizutragen. Andere Jobcenter hingegen, legen den Begriff „dadurch“ anders aus. So werden gerade Betroffene mit einer geringen zukünftigen Altersrente und zusätzlichen Abschlägen auf die Inanspruchnahme der verminderten Altersrente und zusätzlich aufstockenden Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII verwiesen, da auch bei einer ungeminderten Altersrente ein Leistungsanspruch nach dem 4. Kapitel des SGB XII notwendig  wäre.

 

Die Umsetzung dieses Unbilligkeitsgrundes  - nach der Auslegungsart des BMAS - wird von der Fachaufsichtsbehörde nicht beanstandet, obwohl diese die gegenteilige Auslegungsart befürwortet. Das Jobcenter der Stadt Erlangen handelt mit seiner Auffassung im Sinn der Bürgerinnen und Bürger und verweist nur auf eine geminderte Altersrente wenn ein Leistungsanspruch nach dem SGB XII nicht entsteht bzw. vermieden wird.

 

Sollte trotz der vielen oben genannten Ausnahmen ein Verweis auf die geminderte Altersrente notwendig sein und liegen keine weiteren Härtegründe außerhalb der Unbilligkeitsgründe vor – wie eine Erbschaft wird in den nächsten 3 Monaten erwartet, geschütztes Altersvorsorgevermögen müsste verwertet werden, eine Auswanderung steht bevor, ist das Jobcenter gehalten diesen Verweis auch geltend zu machen. Stellen Betroffene den notwendigen Altersrentenantrag nicht, ist eine Antragstellung durch das Jobcenter nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II zu vollziehen.

 

2.

Die Unbilligkeitsverordnung sieht vor, dass ein Verweis auf eine geminderte Altersrente nicht zu vollziehen ist, wenn in nächster Zukunft ein Anspruch auf eine ungeminderte Altersrente besteht. In der Begründung des Verordnungstextes wird eine Zeitspanne von 3 Monaten als „nächste Zukunft“ genannt. Mit dem Urteil des Bundessozialgerichtes vom 09.08.2018, Az. B 14 AS 1/18 R, wurde der Zeitraum von 3 Monaten als starre Vorgabe verworfen. Im vorliegenden Urteil wurde ein Zeitraum von 4 Monaten als kurz bezeichnet, wenn eine gegenwärtige Rentenbezugsdauer von 20 Jahren zu erwarten ist.  Der unbestimmte Rechtsbegriff „nächste Zukunft“ soll einen Auslegungsspielraum für eine Ermessenentscheidung im Einzelfall geben.

 

Nach dem vorliegenden Urteil kann davon ausgegangen werden, dass die Zeitspanne „in nächste Zukunft“ 6 Monate betragen sollte. Durch den vorliegenden Ermessensspielraum wäre die Zeitspanne ggf. auf 4 Monate zu verkürzen, wenn die zu erwartende Altersrente überproportional über dem SGB II bzw. SGB XII – Bedarf liegt und kann ggf. auch auf über 6 Monate verlängert werden, wenn ausreichende Gründe vom Betroffenen vorgebracht werden, die eine Aufforderung zur Inanspruchnahme auf eine geminderte Altersrente unbillig und damit rechtswidrig werden lassen. Sollten aus dem demnächst vorliegenden ausführlichen Urteil Hinweise für die Ausgestaltung der maßgeblichen Zeitspanne hervorgehen, so werden diese im Jobcenter der Stadt Erlangen zur Entscheidung im Einzelfall herangezogen.

 

 


Anlagen:        Antrag der Erlanger Linken vom 12.09.2018