I. Der Bericht der Verwaltung dient zur Kenntnis.
Zahlen:
Das „Präventionsprojekt Dyskalkulie“ startete als Pilotprojekt im September 2016 an drei Erlanger Grundschulen. 8 Kinder der Grundschule Büchenbach-Nord Mönauschule, 4 Kinder der Grundschule an der Brucker Lache und 4 Kinder der Heinrich-Kirchner-Schule nahmen an dem Projekt teil. Die Gruppe der 16 teilnehmenden Kinder setzte sich aus 4 Jungen und 12 Mädchen zusammen.
Insgesamt wurden 16 Zweitklässler*innen in Kleinstgruppen (zu je 2 Schülern) zweimal die Woche je 45 Minuten gefördert. Die Förderung wurde durch 8 besonders geschulte und über das Schuljahr hinweg fachlich speziell begleitete Lehrkräfte geleistet.
So konnten im Schuljahr 2016/2017 insgesamt 445 Fördereinheiten stattfinden.
Die reinen Honorar- und Materialkosten des ersten Durchgangs beliefen sich auf 13.209,54€.
Hier ist zu erwähnen, dass erheblich mehr personelle Ressourcen in dieses Projekt flossen. Die beteiligten Förderkräfte, Schulpsychologen, Beratungslehrkräfte und Mitarbeiter der Integrierten Beratungsstelle nahmen unentgeltlich in Summe an mehr als 160 Stunden Besprechungen (Supervision, Schulungen etc.) teil. Hinzu kommen noch Vor- und Nachbereitungsarbeit sowie Arbeitstreffen der Schulpsychologin, Beratungslehrerin und dem Vertreter der Beratungsstelle. All diese zusätzlichen Leistungen erfolgten entweder im Rahmen der „normalen“ Arbeitszeit (Beratungsstelle) oder wurden mit zwei einzelnen Lehrerwochenstunden durch das Schulamt unterstützt.
Vorgehen:
Alle Lehrer*innen der teilnehmenden Schulen konnten Kinder mit Rechenproblemen an die zuständigen Kolleginnen melden. Mit dem Einverständnis der Eltern fand eine psychometrische Eingangstestung statt. Zusätzlich wurde die Einschätzung der unterrichtenden Lehrkräfte abgefragt. Für das Projekt wurden Kinder mit durchschnittlichem kognitivem Niveau und unterdurchschnittlichen mathematischen Leistungen berücksichtigt.
Nach Zustimmung der Eltern startete die Förderung zu Beginn des Schuljahres 2016/2017 und die Kinder erhielten 2 Fördereinheiten à 45 Minuten in Zweiergruppen.
Um einen aktuellen Leistungsstand zu erfassen, wurden gegen Ende des Schuljahres alle teilnehmenden Kinder erneut getestet und zusätzlich zum Projekt befragt. Im Verlauf des Projektes kam es bei drei Kindern zum Abbruch der Förderung, so dass diese nicht in der Auswertung berücksichtigt werden konnten. Gründe für die Abbrüche waren unter Anderem unzureichende Mitwirkung und andere schwerwiegende Probleme/Erkrankungen.
Ergebnisse:
Quantitative Ergebnisse:
Bevor auf die einzelnen Werte eingegangen wird, ist es wichtig anzumerken, dass sich der Maßstab der Testverfahren von der ersten zur zweiten Testerhebung hin verschärft hat. Am Ende der ersten Jahrgangstufe wurden die Kinder mit anderen Kindern aus der ersten Klasse verglichen und nur im Zahlenraum bis 20 getestet. Bei der Abschlusstestung wurden Zahlen und Rechenoperationen (auch Multiplikation und Division) im Zahlenraum bis 100 abgefragt und die teilnehmenden Kinder mit dem Leistungsstand von Kindern zum Ende der zweiten Klasse verglichen.
In Abbildung 1 werden die Unterschiede zwischen den zwei Testungen mittels standardisierten Werten (T-Werte) dargestellt. Die positiven Werte stellen eine individuelle Verbesserung dar, die negativen eine Verschlechterung. Wie eindrücklich zu sehen ist, haben sich 10 der 13 Kinder verbessert. Je höher die Werte sind, desto größer ist die Veränderung. Ohne Förderung wären keine bzw. gleichviel positive und negative T-Wert-Unterschiede zu erwarten gewesen. Die vorwiegend positiven Veränderungen sind statistisch signifikant auf die Förderung zurückzuführen.
Abbildung 1: Änderung der T-Wertpunkte im
Vergleich vor der Förderung/ nach der Förderung
Werden nicht nur die einzelnen Werte, sondern das Gesamtbild bzgl. der Kriterien für eine Rechenstörung betrachtet, wird auch hier eine Verbesserung bei den teilnehmenden Kindern deutlich. Erfüllten zu Beginn der Förderung noch 61,5 % die Kriterien einer Dyskalkulie (8 Kinder) waren es am Ende der Förderung nur noch 38,5 % (5 Kinder) die diese Kriterien erfüllten (s. Abb. 2). Zwei von diesen drei Kindern wiesen immer noch eine Rechenschwäche auf, konnten sich aber aus dem Bereich einer Störung „herausverbessern“. Ein Kind konnte sich in den Normbereich verbessern und wies somit laut Testung keine unterdurchschnittliche mathematische Leistung mehr auf.
Abbildung 2: Anteil der Kinder, welche die
Kriterien für eine Dyskalkulie erfüllen
Wie Abbildung 3 verdeutlicht, erzielten alle teilnehmenden Kinder vor Beginn der Förderung unterdurchschnittliche Werte in dem neuropsychologisch fundierten Testverfahren. Nach Abschluss der Förderung erzielten zwar immer noch 8 der 13 Kinder unterdurchschnittliche Werte, was aber auch bedeutet: Mehr als 38 % der Kinder haben sich in einen durchschnittlichen Bereich hinein verbessert. Hier ist zudem anzumerken, dass die Kinder bei der Abschlusstestung (vgl. weiter oben) mit schwereren Aufgaben getestet wurden.
Abbildung 3: Anteil der Kinder mit einem
unterdurchschnittlichen (≤ 40 T-Wertpunkte) Ergebnis im Mathetest
Qualitative
Ergebnisse:
Gegen Ende des ersten Projektdurchlaufes wurden die
Kinder zu verschiedenen Bereichen befragt. Auf die Frage „Was kannst du jetzt
richtig gut und was ist das für ein Gefühl?“ gaben die Kinder antworten wie:
-
„Ich kann Plus und
Minus viel besser.“
-
„Bei Plus geht’s ohne
Hundertertafel.“
-
„Das Mal kann ich bis 100 und Geteilt ist noch schwer.“
-
„Es ist ein gutes
Gefühl. Ich trau mich auch, schwierige Aufgaben zu rechnen.“
-
„Es ist ein schönes
Gefühl, etwas zu können.“
Im Original auch:
Abbildung
4: Auschnitt eines Rückmeldebogens
Dass
viele Kinder ihre tatsächlichen Leistungen (trotz einer Verbesserung bei noch
bestehendem Unterstützungsbedarf) realistisch einschätzten, zeigen die
Antworten auf die Frage: „Wenn du
in deiner Klasse Mathe machst – wie geht es dir da (evtl. wie war das
früher?)“.
Die Kinder antworteten mit:
- „Manchmal gar nicht gut und manchmal fühle
ich mich gut.“
- „Früher war es schwer, jetzt geht es
leichter.“
- „Besser als früher, aber ich bin noch nicht
so gut.“
- „Jetzt gut: Ich melde mich oft; Früher: schlecht; da hatte ich Angst, dass ich etwas Falsches sage.“
Auf die Frage Was würdest du Kindern raten, die in Mathe nicht so gut zurechtkommen? Gaben Kinder Antworten wie:
- „Ich würde den Kindern mit Problemen helfen.“
- „Sich helfen lassen.“
- „Ich
würde anderen helfen; sie sollen sich Hilfe holen und nicht ausrasten.“
Bei Nachfrage, ob sich rückblickend etwas verändert habe, gaben die Kinder folgende Antworten:
„Ich kann Malaufgaben.“;
„Ich fühle mich sicher.“; „Mathe fällt mir jetzt leichter.“; „Ich mag
jetzt Mathe, weil ich jetzt viele Sachen gelernt habe.“; „Ich trau mich mehr.“;
„Ich habe mich verbessert in Mathe.“; „ Ich melde mich mehr.“; „Ich mache
Mathespiele.“; „Bei Proben kann ich jetzt schwere Sachen.“; „Ich bin jetzt
besser.“; „Am Anfang war es schwer, jetzt ist es für mich viel einfacher; erst
habe ich mich „dusselig“ gefühlt und jetzt nicht mehr“; „Mathe kann ich viel besser, ich kann besser
Plus und Minus rechnen.“
Im
Originalschriftbild:
Förderbeispiele:
Das folgenden Beispiel von Sabine (Name geändert): gibt einen exemplarischen Einblick
in die Arbeit einer Fördergruppe. Die Förderung und Entwicklung des Mädchens
wird skizziert.
Sabine (Name geändert):
1. Ausgangssituation - September 2016
Sabine zeigte:
·
Unsicherheiten
bei „rechts“ und “links“ Unterscheidung,
·
unübersichtliche
Heft- und AB-einteilung,
·
Unklarheiten beim
Zahlenstrahl,
·
Unsicherheit beim
Vorwärts- und Rückwärtszählen,
·
Unsicherheit bei
Z und E Unterscheidung / Orientierung am Zahlenstrahl,
·
Unsicherheit beim
Erfassen von Mengen,
·
Probleme bei der
Zahlzerlegung
·
Schwierigkeiten
beim Entnehmen von Rechenoperationen aus Bildern
generell:
·
mochte sie das
Fach Mathematik nicht und brachte dies auch zum Ausdruck,
·
war sie sehr
unruhig, zappelig, verspielt und unkonzentriert
2.
Durchführung / Veränderung / Mitarbeit (Bericht der Lehrerin)
Anfangs machte ich nur „Spiele“ (Mengen erkennen;
Blitzspiel; Wie viele Finger sind unter dem Tisch?), sodass Sabine öfters
sagte: „Wir rechnen ja gar nicht. So
macht Mathe Spaß und ich kann alles!“
Regelmäßig druckten wir mit den Fingern Bilder nach
einem vorgegebenen Plan (rechts - links - oben - unten Problematik)
➜Sabine sollte die schon
erkennbaren Negativmuster gegenüber dem Fach abbauen!
Seit Ende der Herbstferien kam Sabine immer mit
Begeisterung in den zusätzlichen Förderunterricht. Günstig war auch, dass sie
sich mit einem anderen Mädchen aus der Fördergruppe eng befreundete.
Im sozial-emotionalen Bereich war sehr schnell und nachhaltig
eine positive Veränderung spürbar.
Sie zeigte bis zum Ende der Förderung eine sehr gute
Mitarbeit.
3.
Endsituation - Juli 2017
Sabine ist wesentlich sicherer im Umgang mit
Rechenoperationen geworden! Sie beherrscht nun Addition und Subtraktion mit
Übergang im Zahlenraum bis 100.
Es kommt aber leider noch zu Flüchtigkeitsfehlern, die
von Sabines Unkonzentriertheit und Fahrigkeit herrühren.
Die Einführung des kleinen Einmaleins hat Sabine mit
großem Interesse aufgenommen und sie hat mit Begeisterung die durchgenommenen
Reihen gelernt.
Sabine ist immer noch zappelig und unkonzentriert bzw.
verträumt/verspielt. Sie ist sich dessen aber mehr bewusst, sodass sie versucht
„genauer nachzudenken“.
Fazit:
• Sabine wurde insgesamt stabilisiert,
• die Negativhaltung dem Fach Mathematik
gegenüber hat sich aufgelöst,
• sie begegnet neuem Mathestoff positiv und
neugierig,
• sie hat weiterhin Schwierigkeiten
(Konzentration, Lateralität), aber ist für neue Inhalte offen.
Mathematiknote: 3
Zusammenfassung
und Schlussfolgerung:
Das Pilotprojekt zur Dyskalkulieprävention wurde in
Zusammenarbeit von Schule und Jugendamt durchgeführt und erzielte positive
Ergebnisse. Es half Kindern, ihre mathematischen und psychischen
Schwierigkeiten/Belastungen zu verringern. Sowohl die Kinder als auch die
teilnehmenden Förderlehrkräfte sahen klar die Verbesserungen, die eine Mehrheit
der Teilnehmer*innen erzielen konnten.
Um die Ergebnisse dieses ersten Projektjahres zu
verifizieren, startete das Pilotprojekt zum Schuljahr 2017/2018 unter den
gleichen Rahmenbedingungen zu einem zweiten Durchlauf.
Wichtig ist an dieser Stelle, darauf hinzuweisen, dass
lediglich nur ein Teil der Erlanger Grundschulen teilnehmen konnte und selbst
an diesen drei Schulen der Bedarf größer war, als das Pilotprojekt abdecken
konnte. So ist der aktuelle Stand der, dass nur ein ausgewählter Schülerkreis
in der Lage war von diesem Projekt zu profitieren.
Die Pilotphase ist mit Ablauf des Schuljahres
2017/2018 beendet. Es stellt sich die Frage, wie das „Präventionsprojekt Dyskalkulie“
weitergeführt werden soll. Kann dieses Projekt allen Erlanger Grundschulen
angeboten werden? Kann folglich diese Förderung allen „betroffenen“ Schülern
bzw. deren Eltern Angeboten werden?
Grundsätzlich fällt die Vermittlung der
Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen in den Verantwortungsbereich des
Systems Schule. Bei dem Pilotprojekt handelt es sich um eine freiwillige
Leistung der Stadt Erlangen. Eine Weiterführung über die Pilotphase erfordert
nach Ansicht der Verwaltung die Einbeziehung aller Grundschulen in Erlangen.
Von schulischer Seite wird das Projekt durch Frau Rödl und Frau Feder-Scherbaum betreut. Herr Meyer (Integrierte Beratungsstelle Stadt Erlangen) begleitet das Projekt mit seiner Expertise als Dyskalkulietherapeut. Bei Fragen zum Projekt können sich Interessierte jederzeit an Herrn Meyer unter der Telefonnummer 09131-862295 wenden.
Anlagen: