Der Bericht der Verwaltung dient zur Kenntnis.
Die Anfrage ist durch die Vorlage abschließend bearbeitet.
Frau Stadträtin Hartwig bat in der letzten Sitzung des Jugendhilfeausschusses darum, die Situation der in Erlangen lebenden jungen Flüchtlinge, die von Abschiebung bedroht sind, zu beschreiben, insbesondere folgende Fragen zu beantworten:
- Wie viele Ausweisungen sind angeordnet?
- Wie viele sind angedroht?
- Wie viele junge Menschen sind davon bedroht?
- Wie sieht diesbezüglich die Situation in den Jugendhilfeeinrichtungen aus?
-
Es handelt sich hierbei vornehmlich um ein politisches Thema, das bayernweit existiert.
Das Jugendamt hat eine Sondersitzung der Arbeitsgruppe 78 ( Hilfen zur Erziehung ) einberufen. Weitere Ämter und relevante Organisationen wurden um Teilnahme gebeten.
Die Diskussion in der Arbeitsgruppe, die weiteren Abstimmungen und Gespräche, ergaben folgende Beiträge, die einen vielfältigen facettenreichen Einblick vermitteln und die Situation aus unter-schiedlichen Perspektiven beschreiben. Um die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Positionen darzustellen, wurde auf eine weitergehende Zusammenfassung verzichtet. Die abweichenden Zahlen lassen sich dadurch erklären, dass sich das Alter der Personen und die Zuständigkeit unter scheiden.
Stellungnahme der
Ausländerbehörde
Die Fragen im Protokollvermerk betreffen die Ausreisepflicht von Ausländern.
Solange der Bescheid des BAMF nicht bestandskräftig ist oder ein Klageverfahren beim Verwal-tungsgericht anhängig ist, spricht man von einer nicht vollziehbaren Ausreisepflicht. Erst nach der Bestandkraft des BAMF-Bescheides sind grundsätzlich Abschiebungen möglich. Einen Sonderfall gibt es dann, wenn ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird. Dann ist die Aus-reisepflicht mit Zustellung des BAMF-Bescheides bereits vollziehbar. Bei den durch das Jugendamt betreuten Fällen, gibt es keinen derartigen Sachverhalt.
Sollte ein minderjähriger Ausländer im Asylverfahren bestandskräftig abgelehnt und die Aus-reisefrist eingetreten sein, wird dieser zumindest bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zunächst nicht abschiebbar sein, da eine Aufenthaltsbeendigung in aller Regel nur schwer umzusetzen ist.
Daneben gibt es den Begriff der Ausweisung. Ausweisungen sind Entscheidungen, die getroffen werden, falls durch einen Ausländer Straftaten begangen wurden, die einen weiteren Verbleib des Ausländers nicht möglich mehr möglich machen.
Im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde der Stadt Erlangen lebenden jungen Flüchtlinge wurden keine Ausweisungen veranlasst.
Zur Zuständigkeit bei Personen im Asylverfahren bzw. nach Ablehnung im Asylverfahren können u.a. folgende Aussagen getroffen werden. Grundsätzlich ist die Stadt Erlangen für alle Ausländer, die im Stadtgebiet ihren Wohnsitz haben, zuständig. Bei einigen Staaten geht die Zuständigkeit bei vollziehbarer Ausreisepflicht (vgl. obige Ausführungen) jedoch an die Zentrale Ausländerbehörde Mittelfranken in Zirndorf über. Sonderfall sind derzeit afghanische Staatsangehörige. Hier geht die Zuständigkeit bereits bei Zustellung des ablehnenden Asylbescheides an die ZAB Mittelfranken über, d.h. auch wenn der Betroffene noch nicht vollziehbar ausreisepflichtig ist.
Für die in Erlangen lebenden vom Jugendamt betreuten jungen Flüchtlinge gab es zum Stichtag 19.06. folgende Information über die aktuelle Situation:
Bei insgesamt 6 Personen, für die die Stadt Erlangen die Zuständigkeit inne hat, besteht vollziehbare Ausreisepflicht, da die Asylanträge bestandskräftig abgelehnt wurden. Die Herkunftsstaaten teilen sich wie folgt auf:
- Irak: 4 Personen
- Somalia: 1 Person
- Nigeria 1 Person
Bei 10 Personen wurde der Asylantrag abgelehnt, daraufhin jedoch Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht, so dass die Ausreisepflicht noch nicht vollziehbar ist. Die Herkunftsstaaten teilen sich hier wie folgt auf:
- Äthiopien: 5 Personen
- Pakistan: 2 Personen
- Iran: 1 Person
- Irak: 1 Person
- Nigeria: 1 Person
Hinzu kommen noch 2
Personen aus dem Iran, die demnächst das 18. Lebensjahr vollenden, und dann
grds. abschiebbar werden würden.
Bei allen Übrigen,
gem. der von Ihnen übersandten Liste, wurde entweder ein Schutzstatus
(Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz, Abschiebverbot) durch das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ausgesprochen.
Stellungnahme Sozialreferat – übergeordnete Koordination der
Flüchtlingsarbeit
Zum jetzigen Zeitpunkt leben in Erlangen 688 Geflüchtete im Alter von 16
bis 27. 418 von ihnen haben bereits einen Aufenthaltstitel und 270 befinden
sich immer noch im Asylverfahren oder haben eine Duldung. Etwa die Hälfte von
ihnen wohnt noch in den Gemeinschaftsunterkünften. Die meisten aus dieser
Altersgruppe stammen aus dem Irak und Syrien. Die Geflüchteten, deren
Asylantrag vom BAMF noch geprüft wird oder die eine Duldung haben, werden von
Asylsozialberatern und die bereits anerkannten Flüchtlinge von den Migrationsberatern
betreut. Das Beraterteam besteht aus 11 Mitarbeitern der Wohlfahrtsverbände AWO
und ASB, die im Auftrag der Stadt agieren. Zusätzlich bietet der Internationale
Bund im Rahmen des Jugendmigrationsdienstes Beratung für junge Migranten in
Erlangen. Die aktuelle Lage lässt sich nicht als unproblematisch bezeichnen.
Besonders in letzter Zeit werden Asylanträge (vor allem von Asylbewerbern aus
Irak, Iran, der Ukraine) zunehmend abgelehnt und Geflüchtete verpflichtet das
Land zu verlassen, was allerdings nicht immer möglich ist. Viele der
Betroffenen klagen gegen die Entscheidung des Ministeriums, wobei das Klageverfahren
mehrere Monate oder sogar Jahre dauern kann. Für die Jugendlichen bedeutet das,
dass in dieser Zeit unter anderem die Aufnahme einer Ausbildung um einiges
schwieriger wird.
Beitrag von Herrn
Maisch, GGFA
Die GGFA ist Kooperationspartner der Berufsschule Erlangen in den
Berufsintegrationsklassen für berufsschulpflichtige junge Menschen mit
Fluchthintergrund. In diesem Jahr befinden sich drei Schulklassen im zweiten Jahr der Beschulung. In einer Reihe von Fällen
liegen von Ausbildungsbetrieben konkrete Zusagen zur Übernahme dieser Schüler
vor. Aktuell warten acht Schüler auf die Erlaubnis der Ausländerbehörden in
Erlangen und Zirndorf, die Ausbildung beginnen zu dürfen.
Die gegebene Rechtslage führt zu einer großen Verunsicherung bei den
betroffenen Schülern, aber auch bei den Ausbildungsbetrieben die eine hohe
Bereitschaft und ein großes Engagement in die Integration investieren. Die aktuelle
Rechtspraxis hat nachhaltig negative Auswirkungen auf die Motivation der
Schüler. Es kommt in der Folge zu einer erheblichen Destabilisierung Einzelner,
sowie zu Spannungen zwischen den Schülern. Die bisher erfolgreich geleistete
Integrationsarbeit mit den Schülern durch Lehrkräfte, Sozialpädagogen, ehrenamtliche
Helfer, Betreuer, potentielle Ausbildungsbetriebe und Weiteren wird in Frage gestellt
und teilweise zunichte gemacht.
Stellungnahme des
Fachdienstes Vormundschaften (FDV) zur Situation der unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlinge (UMF)
Aktuell befinden sich 26 UMF in der Betreuung des FDV, dies setzt sich
von den Herkunftsländern folgendermaßen zusammen: 13 aus Syrien, 5 aus dem
Irak, 3 aus Afghanistan, 3 sind iranische Afghanen, 1 aus dem Iran, 1 aus
Somalia.
Die Jugendlichen leben größtenteils (17 Mündel), in Jugendwohngruppen
bzw. unter der Betreuung von Mitarbeitern der freien Träger, weitere 7 leben
mit Verwandten zusammen und 2 Mündel sind in Pflegefamilien untergebracht.
Eine Klage erhoben haben wir bei 7 Mündeln, um einen besseren Schutz für
sie zu erreichen, d.h. vom Schutzstatus des subsidiären Schutzes auf
Flüchtlingseigenschaft.
Bei weiteren 4 Jugendlichen klagen wir, da ein negativer Asylbescheid
inkl. Ausreisefrist vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ergangen ist.
Diese Fälle haben wir an Fachanwälte übergeben.
Einigen der Jugendlichen wurden bereits Ausbildungsverträge angeboten,
meist durch ihre gute Mitarbeit in absolvierten Praktika.
Bisher wurde leider noch kein Ausbildungsvertrag komplett genehmigt.
Diese liegen entweder bei der ZAB Mittelfranken oder der hiesigen
Ausländerbehörde zur weiteren Genehmigung vor.
Aktuell werden fast alle unsere Mündel in Erlangen beschult. Jedoch
werden vorrausichtlich im nächsten Schuljahr weitere Jugendliche ohne
Beschulung sein. Entweder da sie bereits die Schulpflicht erfüllt haben (2
Jahre Integrationsklasse) oder da sie den Schulplatz durch unentschuldigtes
Fehlen, zunehmende Demotivation, Fehlverhalten verloren haben. Erschwerend
kommt hinzu, dass der Schulbesuch eine notwendige Tagesstruktur vorgibt, ein
wichtiges soziales Netz und eine Erreichbarkeit der Jugendlichen darstellt und
häufig ein grundlegendes Erfordernis ist, um weiterhin Jugendhilfe gewährt zu
bekommen.
Insgesamt sind bereits sechs Familiennachzüge erfolgt und 5 weitere
wurden von uns mitorganisiert.
In der aktuellen Situation sind keine weiteren Familiennachzüge planbar,
da die Jugendlichen nur noch den subsidiären Schutz im Asylverfahren erhalten
haben und der Nachzug nur mit der Flüchtlingseigenschaft möglich ist. So
begründen sich auch die Klagen auf einen höheren Schutz (7 Stück aktuell), d.h.
nur noch der schon vor Langem angestoßene und organisierte Zuzug von weiteren
Angehörigen wird derzeit noch abgewartet.
In der Gesamtsicht stellt sich die Situation
sehr schwierig dar.
Alle Jugendlichen haben wir durch Ziele und
durch realistische Zukunftsperspektiven motiviert und ihnen aber auch eine
gewisse Integrationsleistung abverlangt. Die Jugendlichen wussten zu jeder
Zeit, dass dies die Notwendigkeit ist, um sich eine Perspektive in Deutschland
zu erschaffen. Die meisten der Jugendlichen haben sehr ehrgeizig diese Ziele
verfolgt und auch erreicht, dennoch stehen viele nun ohne Perspektive da.
Dies führt zu einer starken Demotivation,
depressivem Verhalten, Rückzug, Perspektivlosigkeit, Antriebslosigkeit,
vermehrten Alltagskonflikten und damit zu einem erhöhten Betreuungsaufwand: Die
Betreuung fällt neben der Wohngruppe, den Jugendsozialarbeiter*innen an Schulen auch dem Vormund zu. Häufig ist
der Vormund die einzige konstante Kontaktperson seit der Einreise nach
Deutschland und demnach existiert hier meistens ein sehr enges und offenes
Vertrauensverhältnis.
Bei fast jedem Jugendlichen wechselt
mindestens einmal die Wohngruppe, zudem ist in den Wohngruppen ein steter
Wechsel der Bezugspersonen aufgrund einer extrem hohen Mitarbeiterfluktuation.
Bleibt als Fazit des FDV folgende Fragestellung: Wie kann einem
Jugendlichen, der keine Arbeits- oder Ausbildungsgenehmigung erhält, bei dem
der Schulplatz wegfällt, der auch nicht seine Familie nachholen kann, bei dem
früher oder später das Netz der Jugendhilfe wegfällt, eine Zukunftsperspektive
gegeben werden? Wie können Stadtverwaltung, Gesellschaft und Politik
verhindern, dass uns diese Jugendlichen nicht in Kriminalität, Illegalität oder
gar Radikalität abdriften?!
Stellungnahme, der in der Sitzung am 27.06. anwesenden
Vertreter*innen der AG 78 HzE
(Step e.V., SOS-Kinderdorf e.V., Der
Puckenhof e.V., VSJ e.V., Perspektive B, Diakonie Erlangen, Kinder- und
Jugendhaus Stapf)
Persönliche Situation von Jugendlichen (UMF)
in den Jugendhilfeeinrichtungen:
- Demotivation für die weitere Schul- und
Berufsbildung. Die Jugendlichen fragen sich, ob es sich überhaupt lohnt,
für die Schule/den Schulabschluss zu lernen.
- Für Jugendliche, die einen
Ausbildungsvertrag bekommen haben und lediglich im gestatteten/gedulteten
Aufenthaltsstatus sind, ist es unklar, ob Ausbildungen genehmigt werden,
was zu großer Verunsicherung führt!
- Jugendliche brauchen dringend Geld für
rechtliche Beratung, damit ihre Rechte im Asylverfahren angemessen
vertreten werden. Dieses Geld müssen sie selber ansparen!
- Der erschwerte Familiennachzug bedeutet
für viele junge Flüchtlinge, dass sie ihre Zukunft in Deutschland alleine
und ohne die Unterstützung ihrer Familien planen müssen. Die unsichere
Situation der im Heimatland verbliebenen Familien bedeutet eine
zusätzliche Belastung. Nicht selten sehen sich diese Jugendlichen mit
Vorwürfen konfrontiert, nicht alles für den Familiennachzug getan zu
haben.
- Die Motivation der Jugendlichen, sich
bei uns zu integrieren, lässt deutlich nach, wenn für sie keine Bleibeperspektive
gegeben ist.
- Gefahr der Kriminalisierung und
Radikalisierung durch fehlende Perspektiven;
- Jugendliche, die „untertauchen“ oder
nach Italien und Frankreich gehen;
- Psychische Destabilisierung, trotz
intensiver Vorbereitung und fachlicher Begleitung im Asylverfahren.
Die Situation für
die betreuenden Fachkräfte und Träger:
- Erhöhte
psychische Belastungen der Jugendlichen führen zu belastenden Arbeitsbedingungen
bei den betreuenden Fachkräften.
- Aufgrund der
vielen formalen und behördlichen Anforderungen an die pädagogischen
Fachkräfte in der Fallarbeit fehlt die Zeit für die pädagogische Arbeit
(Beziehungsarbeit) mit den Jugendlichen.
- hohe
Fluktuation unter betreuendem Fachpersonal, durch unsichere Arbeitslage, befristete
Verträge und frustrierende Arbeitssituationen;
- erhöhter
rechtlicher Beratungsbedarf. Fachwissen der BetreuerInnen ist im Asylverfahren
nicht ausreichend und auch nicht leistbar. Deshalb werden dringend Rechtsanwälte
gebraucht.
- Prekäre finanzielle Situationen bei Trägern
aufgrund fehlender bzw. rückgängiger Belegung
- Schließung von Einrichtungen für UMF. Keine
erneute Öffnung von Betreuungsplätzen, bei veränderten Flüchtlingszahlen!
Forderungen der
freien Träger der Jugendhilfeeinrichtungen:
Um weiterhin mit
den Jugendlichen sinnvoll sozialpädagogisch arbeiten zu können, brauchen die
Träger der Jugendhilfe entsprechende Rahmenbedingungen. Von zentraler Bedeutung
ist dabei, dass junge geflüchtete Menschen einer Beschäftigung nachgehen
dürfen.
Durch „Arbeit“
entsteht „Integration“, wird der Perspektivlosigkeit eine „Zukunft“ entgegengesetzt,
Unsicherheit abgebaut, Kriminalität und Ausgrenzung verhindert und
Radikalisierungstendenzen vorgebeugt.
Deshalb fordern wir:
1. Schnelle,
klare Entscheidungen über Anträge zu Beschäftigungserlaubnissen.
2.
Ermessensspielräume der Behörden müssen wohlwollend und zugunsten der Jugendlichen
bewertet werden!
Anlagen: