Betreff
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - Sachstandsbericht
Vorlage
511/011/2014
Art
Mitteilung zur Kenntnis

Der Bericht der Verwaltung dient zur Kenntnis.


Rahmen und Fallzahlentwicklungen

 

Wir erleben momentan eine spürbare Zunahme an Flüchtlingen in unserem Land, die aus Kriegs- und Krisenregionen vor Verfolgung, Not und Zukunftslosigkeit fliehen und in ihrer Heimat keine Lebensperspektiven mehr sehen. Neben erwachsenen Flüchtlingen und Familien beobachten wir parallel eine Zunahme von Minderjährigen, die alleine, also ohne Eltern bzw. Sorgeberechtigten in Deutschland einreisen.

 

Diese minderjährigen Flüchtlinge kommen mehrheitlich aus Afrika, Afghanistan, Aserbaidschan, Syrien, und dem Irak. In aller Regel haben unbegleitete Minderjährige eine hochbelastende Flucht aus dem Heimatland hinter sich. Nicht selten haben sie bereits im Heimatland schwere traumatisierende Erfahrungen gemacht und sind zum Teil krank. Der Fluchtweg ist in aller Regel mit Lebensgefahr verbunden. Flüchtlinge, die bereits mit dem ersten Reiseversuch in ein sicheres Land gelangen, sind eher die Ausnahme. Etwa 90% der unbegleiteten Minderjährigen sind männliche Jugendliche, größtenteils im  Alter von 16-17 Jahren bei der Ankunft. Das Bayerische Sozialministerium geht perspektivisch von einer Zunahme unbegleiteter Minderjähriger, die nach Deutschland einreisen, aus.

 

Fallzahlentwicklung in Deutschland und Bayern:

 

Jahr

Anzahl der Inobhutnahmen von unbegleiteten Minderjährigen bundesweit

 

 

2009

             1949

2010

             2822

2011

             3482

2012

             4767

2013

             6584

 

(Quelle: Bundesverband der Pflege- und Adoptionsfamilien)

 

Jahr

Anzahl der Inobhutnahmen  von unbegleiteten Minderjährigen in Bayern

2009

              387

2010

              778

2011

              541

2012

              479

2013

              742

 

(Quelle:  Bundesverband unbegleitete Minderjährige)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In 2014 stiegen die Zahlen erneut spürbar an. In Bayern wurden in 2014 bis Anfang September bereits etwa 2000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gezählt. Das Sozialministerium erwartet bis zum Jahresende die Einreise von etwa 3000 unbegleiteten Minderjährigen, alleine in Bayern.

 

Rechtlicher Rahmen und Maßnahmen der bayerischen Staatsregierung

 

Unbegleitete Minderjährige sind von dem Jugendamt, in dessen Zuständigkeitsbereich der Minderjährige sich tatsächlich aufhält, in Obhut zu nehmen. Gesetzlich ist dies in § 42 Abs.1 Satz 3  SGB VIII normiert. Danach ist das Jugendamt verpflichtet, ein ausländisches Kind oder einen ausländischen Jugendlichen in Obhut zu nehmen, das/der unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Das Jugendamt hat umgehend dafür zu sorgen, dass für diesen Minderjährigen ein Vormund bestellt wird. Nur der Vormund kann den Antrag auf Hilfe zur Erziehung für den Minderjährigen stellen. Weiter ist es u. a.  Aufgabe dieses Vormunds den ausländerrechtlichen Status (Asylverfahren, Aufenthaltsgestattung usw.)  und die gesundheitliche Versorgung sicher zu stellen.

 

Im Herbst 2013 änderte die Bayerische Staatsregierung die Vorgehensweise für das weitere Verfahren im Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Es wurde festgelegt, dass ab 2014 alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Rahmen der Jugendhilfe zu versorgen sind. Zunächst wird im sogenannten „Clearingverfahren“ den Fragen:  Warum sind die Jugendlichen hier? Wie ist die familiäre Situation? Wie die gesundheitliche Situation? Sind sie psychosozial belastet oder traumatisiert? Wo muss im Bereich der schulischen Förderung angesetzt werden? nachgegangen. Das "Clearingverfahren" kann drei bis vier Monate dauern. In dieser Zeit befinden sich die Kinder und Jugendlichen Clearingstellen. Die Clearingstelle in Nürnberg ist mit aktuell 48 Plätzen seit Mitte Februar 2014 in Betrieb. Derzeit wird eine Erweiterung vorbereitet. Nach Abschluss des Clearingverfahrens erfolgt die bedarfsgerechte Vermittlung in eine Hilfe zur Erziehung, meist in eine stationäre Hilfe.

 

Der Ministerrat hat in seiner Sitzung am 09.09.2014 beschlossen: Die unbegleiteten Minderjährigen werden künftig analog dem Verfahren bei den Erwachsenen nach Abschluss des Clearingverfahrens bayernweit verteilt. Nach überschlägigen Berechnungen ist für Erlangen mit mindestens 14 Jugendlichen pro Jahr, die zugewiesen werden, zu rechnen. Die Zahl ist direkt von der Gesamtzahl abhängig und kann deswegen nur grob hochgerechnet werden.

 

Aktuelle Situation in Erlangen

 

Das Stadtjugendamt Erlangen hat in den Jahren 2009 – 2013 durchschnittlich 1-2 unbegleitete Minderjährige in Obhut genommen und diese in geeignete Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht.  2014 stieg diese Zahl auf fünf unbegleitete Minderjährige an, die im Rahmen von Hilfen zur Erziehung versorgt werden. Hierfür wurden die Arbeitszuschnitte im Besonderen Sozialdienst verändert. Zwei Sozialpädagoginnen sind hierfür neben anderen Tätigkeiten als „Spezialistinnen“ tätig.

Neben der sozialpädagogischen Arbeit fallen im Jugendamt auch bei dem Sachgebiet wirtschaftliche Hilfen umfangreiche Arbeiten an. Es ist zunächst als Eingangsvoraussetzung die Frage der Zuständigkeit zu klären. Sofern sich die örtliche Zuständigkeit der Stadt Erlangen ergibt, ist die Möglichkeit der Kostenerstattung zu prüfen. Die erste Frage ist: Sind zwischen Einreise aus dem Ausland und Beginn der Leistung 4 Wochen vergangen oder nicht? Wenn mehr als 4 Wochen vergangen sind, besteht keine Möglichkeit der Kostenerstattung. Wenn der Beginn der Leistung innerhalb von 4 Wochen nach der Einreise liegt, besteht grundsätzlich ein Kostenerstattungsanspruch, der aktuell wie folgt geltend zu machen ist:

 

·         Liegen alle Informationen bei der Wirtschaftlichen Jugendhilfe, die für die Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs erforderlich sind vor? Wenn nein, wird versucht, die fehlenden Informationen beizubringen.

·         Mit diesen Informationen wird beim Bundesverwaltungsamt ein Antrag auf Bestimmung des erstattungspflichtigen Landes für Hilfen nach dem SGB VIII nach der Einreise gem. § 89 d Abs. 3 SGB VIII gestellt.

·         Die Rückmeldung des Bundesverwaltungsamtes erfolgte bisher innerhalb von  zwei Wochen.

·         Der vom Bundesverwaltungsamt benannte überörtliche Träger der Jugendhilfe wird dann angeschrieben und gebeten, die Kostenerstattung ab Hilfebeginn zu zusichern.

·         Je nach Arbeitsauslastung hat die Bearbeitung bei den kostenerstattungspflichtigen überörtlichen Jugendhilfeträgern zwischen vier Wochen und gut neun Monaten gedauert. Hier sind die entsprechenden Wiedervorlagen zu führen.

Danach wird in halbjährlichem Rhythmus mit dem kostenerstattungspflichtigen überörtlichen Jugendhilfeträger abgerechnet. Daneben sind diverse Statistiken für die Regierung zu erstellen.

 

Ausblick:

 

Die Entscheidung der Bayerischen Staatsregierung, alle unbegleitete Minderjährige im Rahmen der Jugendhilfe zu unterstützen, ist fachlich richtig. Die Umsetzung stellt die Verantwortlichen allerdings vor erhebliche Aufgaben . In Bayern stehen aktuell etwa 7000 Heimplätze für Kinder, Jugendliche und junge Heranwachsende im Rahmen der Jugendhilfe zur Verfügung. Der zusätzliche Bedarf für die Unterbringung unbegleiteter Minderjähriger kann aus den bestehenden Kapazitäten nicht gedeckt werden. Die jetzt schon bayernweit dramatische Situation macht einen Ausbau von zusätzlichen Heimplätzen für diese Zielgruppe dringend erforderlich.

 

Das Stadtjugendamt Erlangen ist mit Trägern aus der Region im Gespräch, die ihre grundsätzliche Bereitschaft erklären. Schwierig ist es allerdings, geeignete Räumlichkeiten zu finden. Zusätzlich laufen verstärkt Anstrengungen, Pflegeeltern für diese Jugendlichen zu finden. Bisher waren diese Bemühungen nur begrenzt erfolgreich. Allein das Alter der Jugendlichen, meist ab 16 Jahren aufwärts, lässt mögliche Pflegeeltern zögern. Parallel arbeitet das Jugendamt im regionalen Arbeitskreis Mittelfranken mit, der in Kooperation mit freien Trägern das Angebot für diese Zielgruppe erweitern will. Die Situation wird sich bei Einführung der Zuweisung verschärfen.

 

Neben der Notwendigkeit, zusätzliche Heimplätze auch in Erlangen zu schaffen, kommt auf die Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter des Jugendamtes eine spürbare Mehrbelastung zu, die im weiteren Fortgang sicherlich auch zusätzliche personelle Ressourcen notwendig machen wird. Hinzu kommt überflüssiger Weise die Tatsache, dass die Zuweisungsregelung nicht mir den aktuellen Zuständigkeits- und Kostenerstattungsvorschriften zusammen passt. Lt. Auskunft des Bayer. Sozialministeriums wird aktuell an einer Gesetzesänderung gearbeitet. Diese wird dann mit dazu beitragen, dass den Menschen, die Anspruch auf Hilfe und Betreuung haben, diese auch zu teil werden kann.


Anlagen: keine