Der Jugendhilfeausschuss nimmt den schriftlichen und mündlichen Bericht der Abt. 513 zur Kenntnis.
1. Ergebnis/Wirkungen
(Welche
Ergebnisse bzw. Wirkungen sollen erzielt werden?)
Das HaLT-Projekt stellt einen wichtigen Beitrag zur Verminderung des jugendlichen Rauschtrinkens dar.
2. Programme / Produkte /
Leistungen / Auflagen
(Was
soll getan werden, um die Ergebnisse bzw. Wirkungen zu erzielen?)
Das reaktive Angebot soll auch in 2012 fortgesetzt werden, durch proaktive Angebote sollen Eltern und Jugendliche noch besser erreicht werden.
3. Prozesse und Strukturen
(Wie
sollen die Programme / Leistungsangebote erbracht werden?)
Die Netzwerkpartner werden ihr Vorgehen für 2012 noch enger abstimmen.
4. Ressourcen
(Welche
Ressourcen sind zur Realisierung des Leistungsangebotes erforderlich?)
Investitionskosten: |
€ |
bei IPNr.: |
Sachkosten: |
9.500,00 € |
bei Sachkonto: 529101 |
Personalkosten (brutto): |
€ |
bei Sachkonto: |
Folgekosten |
€ |
bei Sachkonto: 446101 und 414101 |
Korrespondierende Einnahmen |
9.500,00 € |
bei Sachkonto: |
|
Haushaltsmittel
werden nicht benötigt
sind vorhanden auf IvP-Nr.
bzw. im Budget auf Kst 513290 / KTr 36451010 / Sk 529101
sind nicht vorhanden
Anlagen:
Sachbericht:
Das HaLT-Projekt (=Hart am Limit)
wurde im Jahre 2002 in Lörrach (Baden-Württemberg) entwickelt. Es ist eine
Antwort auf die steigende Zahl von Kindern und Jugendlichen, die durch
Alkoholvergiftung bedingt stationär in Kliniken behandelt werden mussten. So
stiegen die Zahlen der in Kliniken behandelten Alkoholintoxikationen von dem
Jahr 2000 bis 2010 um fast 200 Prozent auf zuletzt ca. 26.000 Fälle in
Deutschland. Dieses Projekt wurde inzwischen in fast allen Bundesländern
übernommen, bundesweit in über 100 Standorte, in Bayern in über 30 Städten und
Landkreisen.
Auf kommunaler Ebene sollen alle Institutionen in der Sucht- und Jugendhilfe zusammenarbeiten, um dem Trend des jugendlichen Rauschtrinkens entgegenzuwirken.
Laut Bundesministerium für Gesundheit wird bei „...HaLT die Verantwortung für die Prävention von riskantem Alkoholkonsum nicht ausschließlich an eine professionelle Einrichtung der Suchthilfe delegiert... [sondern] …öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen, Ordnungsämter und der Polizei, wie auch Privatpersonen und Veranstaltern von Stadtfesten, Verantwortlichen aus Sportvereinen, Gastronomie und Einzelhandel sollen mit Suchtpräventionseinrichtungen kooperieren.“
Damit ist im Wesentlichen schon der doppelte Ansatz des HaLT-Konzeptes erkennbar:
Reaktiver Baustein
Dabei sollen Jugendliche mit
riskantem Alkoholkonsum und ihre Eltern direkt angesprochen werden, im
Regelfall noch in der Klinik, in der sich der Jugendliche aufhält. Ziel ist es,
sowohl direkte Hilfen für den betroffenen Jugendlichen, als auch ein
Beratungsangebot für die Eltern am Wochenende vorzuhalten.
Proaktiver Baustein
Dabei gilt es auf kommunaler
Ebene ein Präventionsnetzwerk einzurichten, das vor allem die Zielgruppe der
Entscheider in den Kommunen, in Vereinen, bei den Verkaufs- und
Festveranstaltern anspricht, an ihre Mitverantwortung und ihre Vorbildwirkung
appelliert, riskantes Rauschtrinken im Vorfeld durch geeignete Maßnahmen
(konsequente Einhaltung von Gesetzen, Etablierung von Präventionsstandards in
der Kommune und eine breite Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Thema) zu verhindern.
Umsetzung in Erlangen
Im reaktiven Bereich werden seit
Ende 2007 Kinder und Jugendliche in der Universitätskinder- und Jugendklinik
von Mitarbeitern des HaLT-Projekts besucht. Es sind Studentinnen und Studenten höheren Semesters,
die für einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren nach entsprechender Vorbereitung
selbstständig die Gespräche, vor allem am Wochenende, direkt am Krankenbett
führen. Der behandelnde Arzt in der Kinderklinik holt dabei zunächst das Einverständnis
der Erziehungsberechtigten ein und informiert dann den in Bereitschaft
stehenden HaLT-Mitarbeiter. Diese(r) führt ein halbstrukturiertes Interview von
ca. einer Stunde Länge mit den betroffenen Jugendlichen und bietet auch den
Eltern ein separates Beratungsgespräch an. In diesem Stadium sind
Jugendliche gut erreichbar und in der
Regel sehr offen. Eltern befürworten grundsätzlich das Gespräch mit ihrem Kind;
sie selber sind jedoch nur zum Teil gesprächsbereit. Am Ende von beiden
Gesprächen empfiehlt der HaLT-Mitarbeiter die Teilnahme des Jugendlichen am sogenannten
„Risikocheck-Seminars“, das in Form einer eineinhalbtägigen Veranstaltung bald
nach dem Brückengespräch angeboten wird.
Des Weiteren wird auf die Beratungsmöglichkeit in der Drogen- und
Suchtberatung, aber auch in der Jugend- und Familienberatung hingewiesen, vor
allem wenn der HaLT-Mitarbeiter einen weiteren Beratungsbedarf beim
Jugendlichen und/oder in der Familie wahrnimmt.
Brückengespräche 2008 bis 2011 in der
Universitätskinder- und Jugendklinik Erlangen
Im Bundesvergleich ist der Mädchenanteil in Erlangen etwas niedriger.
Im Verlauf der vier Jahre hat sich der Erreichungsgrad nach und nach verbessert.
(gesamt = Anzahl der Jugendlichen, die
in Kliniken aufgrund des Alkoholkonsums eingeliefert wurden)
In der Gegenüberstellung der Jahre 2008 und 2010 ist ein Rückgang des sehr hohen Anteils von Gymnasiasten zugunsten der Real- und Hauptschüler (für 2010) erkennbar. Möglicherweise erklärt sich das durch verstärkte Präventionsprogramme, die in 2009 und 2010 in Gymnasien stattfanden.
Ungebrochen scheint auf den ersten Blick der Trend zu hochprozentigen Alkohol, bei Betrachtung der Rubrik Mehrfachnennungen liegt die Interpretation nahe: Getrunken wird alles, was erreichbar ist.
Erkenntnisse
Durch mehrere Studien ist die
Wirksamkeit der Kurzintervention durch das Brückengespräch belegt,
vorausgesetzt sie erfolgt frühzeitig – kurz nach dem „Unfall“ – und durch
qualifiziertes Personal. Suchtgefährdeten Jugendlichen können dadurch auch
frühzeitig Hilfen angeboten werden. Durch Brückengespräch und Risikocheck-Seminar
soll zumindest das Ziel erreicht werden, dass es nicht zu einem wiederholten
exzessiven Konsum kommt und zu einer weiteren Einlieferung in die Klinik. Durch
den proaktiven Baustein sollen vor allem Erwachsene, Eltern, Lehrer erreicht
werden, aber auch Tankstellenpächter, Verantwortliche im Lebensmittelhandel und
andere.
Letztendlich auch die Politik, um durch entsprechende strukturelle Änderungen Gelegenheiten zum Rauschtrinken einzuschränken und klare Signale zu setzen.
Spezifische Erfahrungen in Erlangen
Im vierten Jahr ist die Zahl der
durchgeführten Brückengespräche weiter ansteigend, teilweise hängt dieses aber
auch damit zusammen, dass die Erreichungsquote deutlich zunahm. Die Zahl der insgesamt
Eingelieferten und Behandelten in der Klinik verharrt jedoch auf hohem Niveau.
In der Altersstreuung zeigt sich im Jahr 2011 bisher kein 12- und 13-Jähriger
mehr – im Unterschied zu den Vorjahren – die meisten, die im Brückengespräch
erreicht wurden, waren eher ältere Jugendliche!
Behandlungsbedürftige Jugendliche unter 18 Jahre
(Standort Erlangen)
Generell liegt die durchschnittliche Alkoholisierung bei 1,5 Promille Blutalkoholspiegel. Sie ist bei Mädchen niedriger, bei männlichen Jugendlichen höher. Im Laufe der vier Jahre ist spürbar, dass die Einweisungspraxis sich geändert hat: Vor allem weibliche Jugendliche werden früher, sprich bei niedriger Alkoholisierung, aber bei deutlichen Ausfällen, in die Klinik gebracht, um Risiken zu vermeiden.
Auch Gleichaltrige scheinen inzwischen frühzeitiger den Notarzt zu alarmieren. Fälle von hilflosen Jugendlichen oder unterlassener Hilfeleistung sind nicht bekannt geworden!
Der jeweilige Bergmonat bringt die meisten HaLT-Fälle. Dies wird in der Presse oft ungenau oder auch falsch dargestellt: Die Menschen, die am Berg Probleme bereiten sind nicht Jugendliche, sondern Heranwachsende oder Erwachsene jungen und mittleren Alters! Viele Jugendliche, die in der Kinderklinik gelandet sind, hatten den Berg gar nicht mehr erreicht, sondern waren beim Vorglühen oder auf dem Weg zum Berg kollabiert. Diese tauchen auch deshalb in den Statistiken über den Nach-Berg selten auf.
*jeweils im Rahmen des HaLT-Projekts
erreichte Jugendliche
In der Innenstadt ist es in den letzten beiden Jahren im Vergleich zu den Jahren davor ruhiger geworden. Das erklärt sich daraus, dass die Innenstadt nicht mehr der bevorzugte Anlaufpunkt am Freitag- und Samstagabend ist. Für Minderjährige gibt es in der Innenstadt auch schlichtweg keine attraktiven oder keine erreichbaren Angebote! Früher beliebte Treffpunkte wie der Altstadtmarkt oder der Saugraben sind durch konsequente Kontrollen von Geschäftsinhabern, Securities, aber auch der Polizei nicht mehr attraktiv. Jugendliche treffen sich vermehrt in den Randbezirken Erlangens (dort gilt auch die Alkoholsatzung Innenstadt nicht) oder in den Vororten oder im Privatbereich im elterlichen Partykeller oder im elterlichen Garten. Ob man es nun Verdrängung oder Verlagerung nennt, das Problem des exzessiv trinkenden Jugendlichen ist kaum noch sichtbar, aber noch nach wie vor unvermindert vorhanden.
Der Proaktive Baustein, häufig in Koordination und Federführung durch das Gesundheitsamt Erlangen, hat in den letzten vier Jahren viele, oft kreative Projekte entstehen lassen. Angefangen von den fast jährlich stattfindenden bundesweiten Suchtwochen zum Thema Alkohol zu einer Vielzahl von verschiedenen Präventionsprojekten im Rahmen der Schule, sowie von Projekten im Landkreis „Guat beinand“. Durch Präventionsansätze auf Gemeinde- und Kleinstadtebene, aber auch Elterninitiativen, die sich Rat und Unterstützung im Rahmen von Elternabenden gesucht haben, wurde versucht, das Thema stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit zu bringen.
Dazu gehören auch mehrere verdeckte Einkaufsaktionen des Kinderschutzbundes Erlangen zur unerlaubten Abgabe von Alkohol an Minderjährige, sowie gemeinsamen Reaktionen von Kinderschutzbund und Polizei bei den „Schwarzen Schafen“.
Die Polizei hat seit vielen Jahren ein abgestuftes System, wie sie mit Minderjährigen unterschiedlichen Alters, die auf der Straße alkoholisiert angetroffen werden, umgeht. Bei diesen Jugendschutzkontrollen werden – nach dem Prinzip „Je jünger, desto weniger Spielraum“ – unmittelbar die Erziehungsberechtigten kontaktiert und in der Regel die Kinder auch an die Eltern übergeben. Dabei erfolgt auch in bestimmten Fällen (in bestimmtem Alter) die automatische Meldung an die jeweiligen Jugendämter.
Zwischenbilanz
Länger als in einem normalen Projektzyklus (drei Jahre) befindet sich das HaLT-Projekt in Bayern und in Erlangen bereits im vierten Jahr und wird voraussichtlich auch im fünften Jahr 2012 weitergeführt werden.
Positiv ist zu konstatieren, dass
verschiedene Institutionen und Einrichtungen der Sucht- und Jugendhilfe, des Gesundheitswesens, sowie
die Polizei eng, verbindlich und erfolgreich zusammenarbeiten. Die öffentliche
Wahrnehmung dieses Projekts hat deutlich zugenommen – auch der
gesellschaftliche Konsens in dieser Frage! Durch strukturelle Änderungen
(Alkoholsatzung Innenstadt, Veränderung der Sperrzeitverordnung, erste
Veränderungen der Konzeption der Bergkirchweih) – haben sich spürbare Erfolge, vor allem auf
dem Gebiet der Ordnungswidrigkeitenverstöße und Gewaltdelikte gezeigt. Erlangen
hat bayernweit inzwischen den Ruf, dass Partei- und Interessensübergreifend
wirksame pragmatische Veränderungen schnell eingeführt wurden, die man sich
andernorts (noch) gar nicht vorstellen kann.
Dennoch bleibt die Frage nach den (gesellschaftlichen) Hintergründen dieser schon lange andauernden Veränderung im Trink- und Feierverhalten. Die Frage, welchen Beitrag die Wissenschaft dazu leisten kann und welche Perspektiven es bei diesen Fragen gibt.
Dazu soll ein mündlicher Vortrag folgen im Rahmen der Jugendhilfeausschusssitzung.