Betreff
Glückspielsucht in Bayern und in Erlangen
Vorlage
513/007/2011
Aktenzeichen
IV/51/513/SOA.T: 2295
Art
Mitteilung zur Kenntnis

Der Bericht der Verwaltung dient zur Kenntnis.


Glücksspiel in Erlangen – eine Bestandsaufnahme  aus Sicht der Suchtberatung     (Stand: 14.7.2011)

 

Definition: „Ein Glücksspiel liegt vor, wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt. Die Entscheidung über den Gewinn hängt in jedem Fall vom Zufall ab, wenn dafür der ungewisse Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse maßgeblich ist“ (GlüStV, §3 Abs. 1)

 

Heute: Glücksspiele dürfen in Deutschland nur unter staatlicher Aufsicht und Kontrolle durch-
geführt werden (§ 284 StGB) und das Glücksspielmonopol des Staates soll dem Zweck dienen, die natürliche Spielleidenschaft vor strafbarer Ausbeutung zu schützen (BVerfG 1970; S 148)

 

daraus entstand der Glücksspielstaatsvertrag (01.01.2008 – 01.01.2012)

 

Zielsetzung: (§1 GlüStV)

·        Verhinderung von Glücksspiel- und Wettsucht

·        Schaffung von Grundlagen für eine Begrenzung des Glücksspielangebots

·        Spielbetrieb in geordnete Bahnen lenken

·        Ausweichen auf illegales Glücksspiel verhindern

·        Gewährleistung von Jugend- und Spielerschutz

 

Jedoch:

·        Der Glücksspielstaatsvertrag greift nicht im Bereich der Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeiten, welche sich bevorzugt in der Gastronomie und in Spielhallen befinden

·                                Grenzen des Glücksspielvertrages

      werden durch die Gewerbeordnung und Spielverordnung geregelt

 

Prävalenz Pathologisches Glücksspiel – Deutschland:

 

Mehrere Untersuchungen (Bühringer, Buth & Stöver, BZgA und H.J.Rumpf) sprechen von 150.000 bis 500.000 Menschen in Deutschland

 

Bayern: (die gleichen Autoren) 16.000 – bis ca. 45.000 Menschen

 

Erlangen: Zunahme der Anmeldungen in der Suchtberatung 2009/2010 um 53%

 

Wo:   In Spielhallen (Gaststätten / Restaurants)

Wer:  In erster Linie Automatenspieler

 

Wer kommt in die Beratung?

 

·        überwiegend deutsche Männer mittleren Alters, Durchschnittsalter 36 Jahre

·        80% Schulden- Mittel bei 35.000 € (in Erlangen = ca. 1,5 Mio. €)

·        spielen an 13,7 Tagen im Monat, etwa 4,5 Stunden

·        über 90% Diagnose pathologisches Glücksspiel

·        74,4% davon Automatenspieler

·        überwiegend Personen mit niedrigem oder ohne Schulabschluss

·        54% ledig, 25% verheiratet, 20% getrennt lebend / geschieden, 1% verwitwet

·        komorbide Störung: Depression, psychische Belastung, und substanzbezogene Störungen

·        Angehörige: jeder Spieler belastet 10 bis 15 Personen in seinem Umfeld (Partner, Kinder  und Eltern, Geschwister, Arbeitskollegen)

 

Folgen: In Erlangen sind 400 – 600 Personen mittel- und unmittelbar davon betroffen

 

(aus Versorgungsstudie: LSG 4/2010)

 

Umfrage in Erlangen (Fußgängerzone April 2011)

 

Ergebnisse: 70% ist die Zunahme an Spielhallen nicht aufgefallen

                     41% denken, wir haben weniger als 10 Spielhallen in Erlangen

                     58% sehen die Entwicklung negativ, 35% gleichgültig

                     57% wollen eine Regulierung

 

Spielhallen / Spielautomaten in Bayern

 

 

Anzahl der Spielhallen und Geldspielgeräte in Bayern

 

2006

2008

2010

Spielhallenkonzessionen

1.097

1.221

1.540

Spielhallenstandorte

769

793

869

Geldspielgeräte in Spielhallen

9.495

12.295

15.869

 

 

 

 

Bestand an Geldgewinnautomaten in der Stadt Erlangen in Spielhallen

 

    2002:                      80

    2005:                    146

08/2010:                   326

01/2011:                   339

zusätzlich sind im gesamten Stadtgebiet Erlangen in Gaststätten/Restaurants u.a. nochmals 309 Geldgewinnautomaten vorhanden

 

Dies ergibt in der Summe ca. 650 Geldgewinnautomaten

 Erlangen hat 28 Spielhallen

 

Einwohnerzahl pro Spielhallengerät

 

          Bayern                              387,00

          Erlangen                           308,05 (nur in Spielhallen)

          Erlangen                           162,03 (Spielhallen und Gaststätten)

 

Erlangen ist „Spitze“ !!!

 

Was hat die Novellierung der Spielverordnung (2006) gebracht?

 

Die Theorie sieht so aus:

 

§ 13:      Mindestlaufzeit 5 sec., Höchsteinsatz 0,20 €, Höchstgewinn 2,00 €

 

§ 12;13: Maximalverlust 80 €/Std., Maximalgewinn 500 €/Std., Ø max. Stundenverlust 33 €.

              Obligatorische Spielpause von 5 min., nach einer halben Stunde Spielbetrieb „Timeout“

§ 3:        12 Geldspielautomaten (vorher 10) pro Konzession bei geeigneter Grundfläche

 

              3 Geldspielautomaten in gastronomischen Betrieben

 

 

 

Die Praxis sieht so aus: (Trümper – Feldstudie 2007)

 

53,1 %: kein Infomaterial liegt aus

26,7 %: verbotene Fungeräte aufgestellt

 

v    Einsätze von 2,4,5,10 oder 100 € sowie Gewinne von 6.000 € möglich

v    Umwandlung der Geldeinsätze auf ein Punktekonto

v    Gewinne werden angepriesen: „mehrere Tausend € Gewinn möglich“

v    Neue Gerätetypen auf einer Stufe mit Glücksspielautomaten in Kasinos

v    Im Punktemodus können Einzelspiele im 2- Sekunden- Takt stattfinden

v    In der obligatorischen „Timeout“ - Phase werden Freispiele gewährt

 

 

Das Suchtpotenzial von Geldspielautomaten
- Relevante Veranstaltungsmerkmale –

 

 

 

Glücksspielsucht Erlangen 2011 – Bilanz

 

 

 

·        Die Beratungsstelle kommt ins Spiel, wenn es droht Sucht zu werden oder bereits Sucht ist

·        wir bieten Informationsgespräche für Betroffene und Angehörige

·        wir bieten therapeutische Gespräche

·        wir vermitteln in stationäre Therapie und bieten auch ambulante Therapie an

 

 

Wie kann die Politik (Bund/Länder/Kommune) reagieren

 

Ansatzpunkt 1: Ebene der Kommunen / Bundesländer

 

Erhöhung der Vergnügungssteuer

=> kein wirksames suchtpräventives Steuerungselement im Glücksspielbereich

Baunutzungsverordnung

=> Verschiebung der Problematik

Spielhallengesetz (Recht der Spielhallen)

(u.a. Regelungen zu Standorten, Geschäftszeiten, Größe, Anzahl etc.)

=> prinzipiell zu begrüßen, bedeutet letztendlich aber nur Symptombehandlung

 

BEWERTUNG:

als flankierende Maßnahme unter Umständen sinnvoll

 

 

Ansatzpunkt 2: Einstufung der Geldspielautomaten als Glücksspiel / Verstaatlichung des Automatenspiels

 

Mögliche Konsequenzen

-         Flächendeckender Abbau aller Geldspielautomaten aus gastronomischen Betrieben und Spielhallen

-         Automatenspiel nur unter dem Dach der Spielbanken (vgl. Schweizer Modell)

-         alternativ: Verstaatlichung des Automatenspiels (vgl. Norweger Modell)

 

BEWERTUNG:

in Deutschland aufgrund der vielschichtigen wirtschaftlichen und politischen Interessen utopisch

 

 

Ansatzpunkt 3: Anwendung der Bestimmungen des Glücksspielstaatsvertrages auf das gewerbliche Automatenspiel

 

Ausgewählte Konsequenzen

-         Restriktionen in der Vermarktung (§ 5)

-         Einbindung in ein glücksspielsegmentübergreifendes Sperrsystem (§ 8)

-         Glücksspielaufsichtsbehörde als Kontrollorgan (§ 9)

-         Begrenzung der Anzahl der Spielstätten (§ 10)

 

BEWERTUNG:

Etablierung eines Parallelmarktes in Form von B- Casinos

Zusätzliches Problem: Inklusion des Gastrobereiches

 

 

Ansatzpunkt 4: Modifizierung der Veranstaltungsmerkmale / Entschärfung der Geräte

 

Ausgewählte Maßnahmen

-         Verlangsamung der Spielgeschwindigkeit, um Vereinnahmungstendenzen entgegenzuwirken

-         Reduzierung der maximalen Verlustmöglichkeit (Orientierung am durchschnittlichen Brutto- stundenverdienst eines Arbeiters im produzierenden Gewerbe; ca. 16 € / Stunde)

-         Entsprechende Begrenzung des Höchstgewinns (ca. 45 € / Stunde)

-         Verbot von Merkmalsübertragungen und damit Unterbindung des Spielens um Gewinnpunkte

-         Manueller Start jedes Einzelspiels, um ein paralleles Bespielen der Automaten zu erschweren

-         Abschaffung von Geldscheinakzeptoren

-         Einbindung von Pop-up Fenstern (Rückmeldung des Spielverhaltens, Warnhinweise etc.)

-         Einführung einer Spielerkarte (nur in Kombination mit den o.g. Punkten sowie biometrischer Erkennung – wie etwa einem Fingerabdruck – sinnvoll, um Missbrauch vorzubeugen!)

 

BEWERTUNG

Erfolg versprechende Bekämpfung der Ursachen !

 

 

Resumee:

Die Steuerungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene sind derzeit begrenzt. Über das Bau – und Planungsrecht kann die Geeignetheit des Betriebsorts in Frage gestellt werden. In einer städtischen Satzung können Aspekte des Jugendschutzes, der Sperrzeiten, der Mindestabstände zwischen den Spielhallen , sowie die Begrenzung der Zahl der Spielautomaten in einer Halle definiert werden.

Aber auch die Änderung von Bebauungsplänen haben sich als sehr wirksames Mittel erwiesen die Ansiedlung von Spielhallen zu verhindern (Stadt Esslingen)

 

Da alle Groß- und Mittelstädte betroffen sind, ist ein abgestimmtes Vorgehen sinnvoll.

Ob vom Bundes- und Landesgesetzgeber Unterstützung zu erwarten ist, ist derzeit offen, da noch immer kein neuer Staatsvertrag ausgehandelt wurde.

 


Anlagen: