Betreff
Sachstandsberichte zum SGB II-Vollzug in der Stadt Erlangen
Vorlage
50/011/2010
Aktenzeichen
V/50/VOA - 86 2249
Art
Beschlussvorlage

1. Die Sachstandsberichte von Sozialamt und GGFA zum SGB II-Vollzug in der Stadt Erlangen werden zustimmend zur Kenntnis genommen.

 

2. Die Verwaltung wird beauftragt den Antrag auf unbefristete Zulassung der Stadt Erlangen zur Option baldmöglichst vorzubereiten und zur Beschlussfassung vorzulegen, sobald die entsprechenden gesetzgeberischen Entscheidungen in Berlin gefallen sind.


1. Entwicklung der Fallzahlen

Bis einschließlich März 2010 hat sich die stetige, aber gemäßigte Aufwärtsentwicklung bei den Fallzahlen der SGB II-Empfänger in Erlangen fortgesetzt. Beim Zahlenvergleich von März 2009 zu März 2010 ist der Anstieg jedoch nach wie vor geringer als im Bund (SGB II-Empfänger insgesamt in Erlangen +1,1%, im Bund +2,7%). Diese Entwicklung zeigt sich besonders deutlich bei der Anzahl der Sozialgeldempfänger (Kinder unter 15 Jahren): Während die Anzahl der Sozialgeldempfänger in diesem 12-Monats-Zeitraum in Erlangen um 2,4% zurückging, stieg er im Bund im gleichen Zeitraum um 2,3% an.

 

Eine deutlichere Entwicklung nach oben zeigt sich beim Jahresvergleich von März 2009 zu März 2010 bei den Arbeitslosenzahlen in Erlangen: Die registrierten Arbeitslosen unter den SGB II-Empfängern in Erlangen stiegen um 12,7% von 1.384 auf 1.560 Personen an (Arbeitslosenquote von 2,4% auf 2,7%). Eine vergleichbare Entwicklung gab es jedoch auch bei den registrierten Arbeitslosen in Erlangen außerhalb des SGB II: Hier stieg die Arbeitslosenzahl um 9,7% von 1.093 auf 1.199 Personen (Arbeitslosenquote von 1,9% auf 2,1%).

 

Die in der Anlage angegebenen Zahlen für den April 2010 wurden für diese Bewertung nicht herangezogen, da sie noch nicht von der BA bestätigt sind. Sie stammen aus unserer Datenübermittlung an die BA zur Monatsmitte. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts hatte die amtliche Mitteilung der BA-Zahlen zum Monatsende noch nicht stattgefunden.

 

Der deutliche Rückgang der Anzahl der Sozialgeldempfänger im April 2010 beruht zu einem guten Teil auf der Umsetzung des sog. Kinderwohngeldes. Dadurch wird zwar die SGB II-Statistik entlastet – für die Betroffenen, aber auch für die Sachbearbeiter in SGB II und im Wohngeld ist dadurch eine sehr umständliche, arbeitsaufwändige und unproduktive Schnittstelle geschaffen worden, weil – im schlimmsten Fall – ein ständiges hin und her wechseln zwischen beiden Systemen die Folge sein kann, ohne dass eine nennenswerte Verbesserung für die Betroffenen eingetreten wäre.

 

 

2. Umsetzung der Härtefallklausel gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010

In seinem Urteil vom 09.02.2010 hatte das Bundesverfassungsgericht nicht nur eine nicht verfassungskonforme Ermittlung der Regelsätze festgestellt. Neben der grundsätzlich zulässigen Bedarfsfestlegung in Form von pauschalen Regelsatzbeträgen müsse darüber hinaus - aufgrund der überragenden Bedeutung der zugrunde liegenden Art. 1 und Art. 20 GG – für den Fall des Auftretens von außergewöhnlichen Bedarfen eine Öffnungsklausel, ähnlich der im SGB XII, gelten, die bisher jedoch im SGB II fehlt. Nach der ausdrücklichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könne damit nicht bis zu einer gesetzgeberischen Reaktion gewartet werden – eine Öffnungsklausel müsse vielmehr auch ohne gesetzliche Grundlage ab dem Zeitpunkt der Verkündung des Urteils am 09.02.2010 in Anspruch genommen werden können. Zum Umfang dieser unverzüglich zu beachtenden Härtefallregelung erließ das Bundesverfassungsgericht folgende Vorgaben:

 

·      Es muss sich um außergewöhnliche Sonderbedarfe handeln, die deswegen nicht bereits durch den Regelbedarf abgedeckt sind und die wohl nur in seltenen Ausnahmefällen auftreten.

 

·      Es muss sich um nennenswert hohe und laufende Sonderbedarfe handeln, die nicht nur einmalig auftreten.

 

Bereits am 17.02.2010 wurde von der BA in Absprache mit dem BMAS ein Auslegungshinweis zur Handhabung dieser Härtefallregelung veröffentlicht, der selbstverständlich auch von der Optionskommune Erlangen als verbindliche Entscheidungsvorgabe betrachtet wird. Darin wurden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zusammenfassend dargestellt und durch einen Katalog von Positiv- und Negativfällen ergänzt.

 

Eine gesetzgeberische Definition der Härtefallklausel liegt bisher noch nicht vor, da ein erster Versuch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz zunächst gescheitert ist (derzeit läuft ein zweiter Versuch im Rahmen des Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung des Finanzplanungsrates).

 

Nach der Veröffentlichung des Bundesverfassungsgerichtsurteils gingen zu diesem Problemkreis im Sozialamt verschiedene Anfragen von Betroffenen, von Verbänden und Beratungsstellen ein, die jeweils durch umfassende mündliche Beratung über die zur Verfügung stehenden Entscheidungsgrundlagen beantwortet wurden. Derzeit liegen dem Sozialamt insgesamt 13 Härtefallanträge vor:

 

·      In fünf Fällen wird die Übernahme von Nachhilfekosten beantragt.

 

·      In acht Fällen wird die Übernahme von Kosten im Gesundheitsbereich beantragt, die von den Krankenkassen nicht getragen werden (Kosten für bestimmte Medikamente, Brille, Kosten für den Eigenanteil des Versicherten).

 

Unter Beachtung der Vorgaben der BA Entscheidungshilfe wurden von diesen 13 Härtefallanträgen bisher fünf Härtefallanträge abgelehnt und ein Härtefallantrag bewilligt. Die übrigen sieben Anträge befinden sich derzeit noch in der Prüfung. Ein Fall der Anrufung des Sozialgerichts in dieser Angelegenheit ist bisher noch nicht bekannt.

 

 

3. Benchmarking

Für interne Ergebnisvergleiche und mit dem Ziel, voneinander zu lernen, betreiben bekanntlich alle 69 Optionskommunen seit 2005 in sieben bundesweiten Vergleichsringen ein Benchmarkverfahren. Die sieben Vergleichsringe werden dabei von der gleichen Beratungsfirma professionell begleitet, die auch bei der Begleitung von Benchmarkverfahren der ARGEN tätig ist. Um eine Vergleichbarkeit der 69 Optionskommunen mit den ARGEN zu erleichtern verwenden die Vergleichsringe der Optionskommunen seit 2009 auch ausschließlich von der BA geliefertes Zahlenmaterial (auch wenn dies, wie sich herausgestellt hat, die Leistungsergebnisse nicht in allen Fällen umfassend und vollständig wiedergibt – siehe den Hinweis auf Seite 47 des Jahresberichts 2009 zu den Integrationszahlen).

 

Der jetzt erschienene, zusammenfassende Jahresbericht 2009 über die Arbeit der 69 Optionskommunen in den sieben Benchmark-Vergleichsringen wird als Informationsmaterial in der Sitzung für alle SGA Mitglieder zur Kenntnis gegeben. Daraus zeigt sich, dass der Vorwurf gegenüber den Optionskommunen völlig unberechtigt ist, sie würden sich einem übergreifenden Leistungsvergleich verweigern. Im Gegenteil: Die Optionskommunen liefern die gesetzlichen Daten vollständig und pünktlich. Die statistische Bearbeitung dieser Daten wird von der BA aber offenbar nicht mit der gleichen Intensität wie für die eigenen Belange, bzw. wie für die ARGEN gehandhabt. So werden nach wie vor einzelne Datenbereiche (z. B. Anzahl der Langzeitarbeitslosen, Passivleistungen) nur für die ARGEN vollständig, für die Optionen jedoch unvollständig ausgewertet und verarbeitet. Innerhalb der Optionskommunen hat sich deshalb die Auffassung durchgesetzt, dass die BA ihre unterschiedlichen Rollen als konkurrierender Leistungsträger einerseits und als unabhängige Statistikbehörde andererseits nicht in ausreichendem Maße trennen kann oder will. Von den Optionskommunen wird deshalb die Forderung erhoben, dass die SGB II-Statistik besser in die neutralen und unabhängigen Hände des statistischen Bundesamtes gelegt werden sollte.

 

 

4. Organisationsreform

Eine organisatorische Reform der SGB II-Stellen ist zwingend erforderlich, da nach dem Gesetz die Arbeit der 69 Optionskommunen nur bis zum 31.12.2010 zugelassen ist und nach dem das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2007 die Organisationsform der ARGE für verfassungswidrig erklärt und ebenfalls nur noch bis zum 31.12.2010 zugelassen hat.

 

Eine Einigung auf neue Organisationsstrukturen ist in der Regierungszeit der Großen Koalition nicht gelungen. Im neuen Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP hat man sich lediglich auf einen Verzicht auf eine Verfassungsänderung verständigt – und damit automatisch auf eine getrennte Aufgabenwahrnehmung als Regelform, die allgemein als die schlechteste Organisationsstruktur für alle Beteiligten angesehen wird.

 

Erst Anfang März 2010 wurden die Weichen neu gestellt durch eine entschieden vorgetragene Gegenposition der hessischen Landesregierung (der sich andere CDU-geführte Landesregierungen unverzüglich anschlossen) und durch die öffentlich erklärte Bereitschaft der SPD-Opposition im Bundestag, eine Verfassungsänderung und eine maßvolle Ausweitung der Option mittragen zu wollen. Daraufhin kam es zur Einsetzung einer zehnköpfigen, interfraktionellen Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter der Leitung des neuen BMAS-Staatssekretärs Gerd Hoofe, die am 20.03.2010 ein abschließendes, einvernehmliches Ergebnis vorlegen konnte:

 

·      Änderung des Grundgesetzes zur dauerhaften Absicherung der ARGEN als zulässige Mischverwaltung von BA und Kommune.

 

·      Dauerhafte Entfristung, maßvolle Erweiterung von bisher 69 auf max. 110, sowie ebenfalls verfassungsrechtliche Absicherung der Organisationsform Optionskommune.

 

·      Beendigung der bisher ca. 20 Fälle von getrennter Aufgabenwahrnehmung.

 

·      Die Aufsicht über die Optionskommunen liegt bei den Ländern, eine Steuerung der Optionskommunen erfolgt über Zielvereinbarungen mit Controlling und Benchmarking.

 

·      Die kurz vorher vom Haushaltsauschuss des deutschen Bundestages verfügte qualifizierte Sperre von 900 Mio. Euro bei den Eingliederungs- und Verwaltungsmitteln für die SGB II-Stellen soll sobald wie möglich wieder aufgehoben werden.

 

·      Für Fallmanagement und Arbeitsvermittlung (also nicht für Leistungssachbearbeitung) sollen verbindliche Betreuungsschlüssel von 1:75 bei unter 25 Jährigen und von 1:150 für über 25-jährige Hilfeempfänger gesetzlich verankert werden.

 

·      Grundgesetzänderung und notwendige einfachgesetzliche Änderungen sollen zeitgleich bis zur Sommerpause verabschiedet werden.

 

Diese Einigung stieß in der Öffentlichkeit auf eine breite Zustimmung.

 

Der Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 91e neu) ist als Anlage zur Kenntnis beigefügt. Aus der Sicht der Optionskommunen ist dabei neben der unbefristeten Zulassung bedeutsam, dass im Text des Grundgesetzes keine zahlenmäßige Begrenzung enthalten sein wird, wohl aber die Bewertung als Regelfall (ARGE) und Ausnahmefall (Option). Weiterhin ist wichtig, dass im Verfassungstext die Kostentragung des Bundes für Optionskommunen festgelegt ist, „… soweit die Aufgaben bei einer Ausführung des Gesetzes nach Abs. 1 (ARGE) vom Bund wahrzunehmen sind“.

 

Seit dem 24.03.2010, bzw. in geänderter Fassung seit dem 01.04.2010 liegen nunmehr die Textvorschläge des BMAS für die notwendigen einfachgesetzlichen Änderungen des SGB II und anderer Gesetze auf dem Tisch, die vom Bundeskabinett in seiner Sitzung am 23.04.2010 gebilligt wurden. Danach ergibt sich ein relativ klares Bild über die neuen Organisationsstrukturen im SGB II – nach unserer Auffassung aber auch noch ein erheblicher Änderungsbedarf, wenn die Handlungsmöglichkeiten einer Optionskommune nicht durch die Hintertür faktisch ausgehebelt werden sollen.

 

Im Folgenden kurz die wesentlichen Vorschläge aus dem Gesetzentwurf – schwerpunktmäßig aus dem Blickwinkel der Optionskommune betrachtet:

 

Die neue Zulassung zur Option

Die Zulassung der bisherigen 69 Optionskommunen soll unter einer Bedingung durch Rechtsverordnung unbefristet verlängert werden: Sie müssen sich bis zum 30.09.2010 verpflichten künftig mit ihrer Aufsichtsbehörde (Land) jeweils Zielvereinbarungen abzuschließen und sie müssen sich zur Datenübermittlung nach § 51b SGB II an die Bundesagentur verpflichten. Beides wird uns keinerlei Schwierigkeiten bereiten, denn die Datenübermittlung an die BA praktizieren wir bereits seit 2005 Monat für Monat. Den Abschluss von jährlichen Zielvereinbarungen mit dem BayStMAS werden wir natürlich nicht verweigern – falls sie die gleiche inhaltliche Qualität wie die derzeit mit den ARGEN abgeschlossenen Zielvereinbarungen haben sollten, könnte man lediglich über die Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme geteilter Meinung sein.

 

Für die Zulassung von weiteren, bis zu 41 zusätzlichen Optionskommunen sollen höhere Hürden aufgestellt werden: Sie müssen u. a. ihre fachliche und organisatorische Eignung für diese Aufgaben nachweisen (der Entwurf einer gesonderten Eignungsfeststellungsverordnung liegt vor), sie müssen sich zur dauerhaften Übernahme von mindestens 90% des derzeit, in ihrer ARGE tätigen BA-Personals verpflichten und sie benötigen für die Antragsstellung auf Optionszulassung in ihrem Stadtrat bzw. Kreistag eine 2/3-Mehrheit (nach Auffassung des BMAS verstößt diese Anforderung nicht gegen das geltende Kommunalverfassungsrecht). Die Neuzulassung soll dann mit Wirkung vom 01.01.2012 in Kraft treten, bzw. in einer eventuellen zweiten Welle zum 01.01.2017.

 

Aufsicht über die Optionskommunen

Die Aufsicht über die Optionskommunen obliegt der zuständigen Landesbehörde (in Bayern also das BayStMAS). Das BMAS führt jedoch eine Rechtsaufsicht über die Länder (§ 48 SGB II neu). Wie das BMAS diese Regelung verstanden wissen will, das zeigt sich im Entwurf zur Begründung dieses neuen Paragraphen, dort heißt es: „Bei abweichender Rechtsauffassung zwischen Bund und Ländern legen die Länder ihrer Aufsicht gegenüber den zugelassenen kommunalen Trägern erforderlichenfalls die Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zugrunde“. Mit anderen Worten: Formal liegt die Aufsicht bei den Ländern, faktisch jedoch (insbesondere in Streitfällen) ausschließlich beim BMAS. Dadurch wird die Aufsicht des Landes in der Praxis durch eine indirekte Bundesaufsicht faktisch ausgehebelt.

 

Steuerung

Als ob in den gesetzlichen Vorgaben des SGB II nicht schon ausreichend klare, inhaltliche Zielsetzungen vorhanden wären und als ob die SGB II-Stellen ohne zusätzliche Wegweisungen nur ziellos vor sich hindümpeln würden, hält das BMAS ein vielfältiges System zusätzlicher, jährlicher Zielvereinbarungen für nötig. Für den Bereich der Optionskommunen will das BMAS künftig jährlich eine Zielvereinbarung mit jedem einzelnen Bundesland über die zu erreichenden, zahlenmäßigen Ergebnisse abschließen – darauf aufbauend soll dann jedes Land mit jeder seiner Optionskommunen eine weitere Zielvereinbarung abschließen, in der die Erreichung, bestimmter, zahlenmäßiger Ergebnisse als verbindlich anerkannt werden muss.

 

Nach § 48b SGB II neu umfassen diese Vereinbarungen insbesondere die Ziele „Verringerung der Hilfebedürftigkeit“, „Verbesserung der Integration in Erwerbstätigkeit“ und „Vermeidung von langfristigem Leistungsbezug“. Es fällt auf, dass im Begründungsentwurf hier besonders die Zielsetzung fehlt, eine bestimmte maximale Höhe von Passivleistungen nicht zu überschreiten (wohlgemerkt nur der staatlichen Passivleistungen – die Finanzleistungen der Kommune in Form von Unterkunftskosten spielen bei den Zielvereinbarungen keine Rolle). Dieses Ziel der Nichtüberschreitung einer gewissen Summe an Passivleistungen steht in den derzeit mit den ARGEN abgeschlossenen Zielvereinbarungen regelmäßig an erster Stelle – im Gesetzesentwurf zum neuen § 48b SGB II fehlt diese Zielsetzung vorsorglich (denn genau genommen könnte sie auch als Anstiftung zum Gesetzesbruch verstanden werden, da das Gesetz zwingende Leistungsansprüche der Hilfeempfänger vorschreibt).

 

Das System der Zielvereinbarungen soll noch ergänzt werden durch laufende Kennzahlenvergleiche, zu deren Erstellung das BMAS ermächtigt werden soll (§ 48a SGB II neu). Die Festsetzung und Normierung der dabei anzuwendenden Kennzahlen erfolgt durch Rechtsverordnung des BMAS mit Zustimmung des Bundesrates.

 

Haftungsfragen

Im neuen § 6b Abs. 4 und Abs. 5 des SGB II sollen umfassende Prüfungsrechte des BMAS und Haftungsansprüche des Bundes gegen Optionskommunen gesetzlich festgeschrieben werden. Die Prüfungsrechte des BMAS erstrecken sich darauf, ob jede einzelne Ausgabe begründet erfolgt ist, in den Akten ordnungsgemäß belegt ist und in jedem Einzelfall den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entspricht (jeweils nach Einschätzung des BMAS). Der Haftungsanspruch gegenüber dem Kommunalhaushalt einer Optionskommune soll verschuldensunabhängig und mit 3% über dem Basiszinssatz auch verzinslich sein. Dieses Prüfungsrecht des BMAS und der Haftungsanspruch des Bundes gegenüber dem kommunalen Haushalt gelten nicht für ARGEN, sondern nur gegenüber den Optionskommunen.

 

Dieses Prüfungsrecht des BMAS im Hinblick auf jede einzelne fachliche Entscheidung der Optionskommune in jedem Einzelfall unterläuft völlig die Regelung, wonach die Aufsicht über die Optionskommunen nicht dem Bund, sondern den Ländern obliegt. Der verschuldensunabhängige und verzinsliche Haftungsanspruch gegenüber dem Kommunalhaushalt einer Optionskommune erweckt nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfes zunächst den Eindruck, als ob es nur um die zeitnahe Rückführung von zuviel aus dem Bundeshaushalt abgerufenen Bundesmitteln ginge. Aus dem Entwurf der Gesetzesbegründung geht jedoch hervor, dass nach Meinung des BMAS jeder Fehler einer Optionskommune beim Gesetzesvollzug im Einzelfall die Kostentragung des Bundes ausschließen und eine entsprechende Rückforderung auslösen soll – auch und gerade wenn es sich um den Vollzug staatlicher SGB II-Leistungen handelt. Eine solche Lösung ist in keiner Weise akzeptabel, da die Kommunalhaushalte von Optionskommunen nicht für die Erfüllung staatlicher SGB II-Aufgaben in Haftung genommen werden können. Dies wäre nicht nur eine eklatante Schlechterstellung der Optionskommunen gegenüber den ARGEN – dies wäre auch ein glatter Verstoß gegen den neu vorgeschlagenen Art. 91e Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes. Dort ist ausdrücklich die Kostentragung des Bundes im Bereich der Optionskommunen bestimmt, soweit es sich um die Wahrnehmung von Bundesaufgaben handelt (und nicht nur um die rechtmäßige, wirtschaftliche und sparsame Wahrnehmung von Bundesaufgaben).

 

Es bleibt eine Spekulation, ob das BMAS eine solch offenkundige Ungleichbehandlung und finanzielle Benachteiligung von Optionskommunen tatsächlich ernsthaft anstrebt oder ob dieser absolut inakzeptable Vorschlag nur als „Verhandlungsmasse“ in den Gesetzentwurf geschrieben wurde.

 

Entscheidung über die Erwerbsfähigkeit von SGB II-Empfängern

Nach dem geplanten neuen § 44a SGB II soll bei Zweifeln an der Erwerbsfähigkeit eines Hilfeempfängers künftig zwingend ein medizinisches Gutachten des MDK eingeholt werden, dessen Ergebnis für die SGB II-Stelle verbindlich ist. Aus einer solchen Regelung würden sich zwangsläufig zwei Probleme ergeben:

 

Zum einen ist der MDK als Teil der Krankenkassen grundsätzlich nicht uninteressiert an den wirtschaftlichen Interessen der Krankenkassen. Für diese wäre es jedoch wirtschaftlich vorteilhafter, wenn möglichst viele SGB II-Empfänger für erwerbsunfähig erklärt werden – und dann deren Existenzsicherung nicht mehr über das SGB II (zu finanzieren vom Bund), sondern über das SGB XII (zu finanzieren von den Kommunen) erfolgt. Es ist an der Unparteilichkeit des MDK zu zweifeln, was offenbar für eine Kostenverlagerung vom Bund auf die Kommunen genutzt werden soll.

 

Zum Anderen ergibt sich eine offene Schnittstelle zwischen dem § 44a SGB II neu und dem geltenden Recht. Für den Erhalt einer Rente oder der SGB XII Grundsicherung ist nämlich nach § 45 Satz 2 SGB XII zwingend ein entsprechendes medizinisches Gutachten der Rentenversicherung (und nicht des MDK) Voraussetzung. Bei voneinander abweichenden medizinischen Gutachten des MDK und der Rentenversicherung (was in der Praxis durchaus vorkommt, wohl auch wegen der unterschiedlichen Interessenslage der jeweiligen Gutachter) wären die Betroffenen, unzweifelhaft bedürftigen Personen sowohl von SGB II, wie auch von SGB XII Leistungen ausgeschlossen. Dieses unbefriedigende Ergebnis ist nicht akzeptabel. Der Bund darf seinen Wunsch, Kosten möglichst auf die Kommunen abzuwälzen, nicht soweit treiben, dass eine Gruppe von Betroffenen in der Folge jeglichen Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums völlig verliert und auf der Strecke bleibt.

 

Abwicklung der Bundesleistungen

Im neuen § 46 Abs. 3 SGB II soll der bisherige kommunale Finanzierungsanteil an den SGB II-Verwaltungskosten von 12,6% ohne nähere, statistische Untersuchungen für alle verbindlich gesetzlich festgeschrieben werden. Die bisherige Möglichkeit, durch ein qualifiziertes externes Gutachten einen abweichenden KFA belegen zu können, soll ersatzlos entfallen.

 

Ebenfalls ersatzlos wegfallen soll die bisherige gesetzliche Regelung, wonach als Anreiz zu wirtschaftlichem Verhalten der SGB II-Stellen nicht verbrauchte Eingliederungsmittel bis zu einer bestimmten Höhe ins nächste Haushaltsjahr übertragbar sein sollten. Zur Begründung wird vom BMAS ausgeführt, diese Möglichkeit habe bisher in der Praxis kaum Bedeutung erlangt und sei außerdem nach Bundeshaushaltsrecht jederzeit auch ohne ausdrückliche Regelung möglich. Tatsache ist jedoch, dass das BMAS alle bisherigen Übertragungswünsche von Optionskommunen konsequent mit der – offenkundig unzutreffenden – Begründung verweigert hat, dies sei nach Bundeshaushaltsrecht nicht zulässig. Eine faire und konstruktive Zusammenarbeit entsprechend dem geltenden Gesetz sieht anders aus!

 

Neue Koordinations- und Kooperationsgremien

Nach den neuen §§ 18b, 18c und 18d SGB II werden neue Gremien zur Steuerung des SGB II-Vollzuges geschaffen:

 

Auf der Ebene jedes Bundeslandes soll ein Kooperationsausschuss gebildet werden, der im Wesentlichen die Zielvereinbarungen des Landes mit den jeweiligen Optionskommunen und ARGEN vorberät (§ 18b SGB II neu). Das Land hat darin 3 Sitze und der Bund 3 Sitze, von denen nach Ankündigung des BMAS 2 Sitze der BA überlassen werden sollen. Der Vorsitzende, dessen Bestellung sich das BMAS im Zweifel für die erste Amtszeit vorbehält, hat doppeltes Stimmrecht.

 

Auf Bundesebene wird ein Bund-Länder-Ausschuss gebildet, an dem auch die kommunalen Spitzenverbände beteiligt sind, soweit es nicht um die Klärung von Aufsichtsfragen geht. Aufgabe dieses Bund-Länder-Ausschusses (§ 18c SGB II neu) ist die Behandlung von Grundsatzfragen und die Vorberatung der abzuschließenden Zielvereinbarungen zwischen Bund und BA/Ländern, bzw. zwischen BA und ARGEN oder zwischen Land und Optionskommunen.

 

Auch auf der örtlichen Ebene sollen zwingend örtliche Beiräte geschaffen werden (§ 18d SGB II neu), auch bei den Optionskommunen. Sie haben beratende Aufgaben zum SGB II-Vollzug vor Ort (so, wie die in Erlangen seit 5 Jahren bestehende „Hartz IV – Strategierunde“). Der einzige Unterschied zur bisherigen Erlanger Praxis besteht darin, dass nach der geplanten Neuregelung auch die örtlichen Wohlfahrtsverbände zu beteiligen sind – außer sie sind selbst als Arbeitsmarktakteure beim Vollzug des SGB II beteiligt.

 

 

5. Prüfungen und Abrechnungen

Die Jahresabrechnung 2009 ist fertiggestellt und liegt derzeit zur Vorprüfung beim städtischen Rechnungsprüfungsamt.

 

Die Jahresrechnung 2008 ist durch das RPA vorgeprüft und liegt dem BMAS vor.

 

Zur Jahresabrechnung 2007 liegt ein erstes Rückforderungsschreiben der BMAS-Prüfgruppe vor, dem von uns ausführlich widersprochen wurde. Es bleibt abzuwarten, zu welchen Klärungen und Ergebnissen die jetzt folgenden Gespräche führen werden.

 

In Kürze wird eine Außenprüfung der TKK (Techniker Krankenkasse) über die Abführung von Krankenkassenbeiträgen in den Jahren 2005 – 2008 beginnen.

 

Mit Bescheid vom 9.4.2010 wurde die erste Außenprüfung der Deutschen Rentenversicherung in der Stadt Erlangen für den Prüfungszeitraum Januar 2005 bis Januar 2010 abgeschlossen. Neben einigen kleineren Details wurde dabei im Wesentlichen die bisher von uns nicht praktizierte Abführung von Rentenversicherungsbeiträgen für Durchreisende als nicht rechtskonform kritisiert.

 

Ausgehend von der derzeit durchschnittlichen Anzahl Durchreisender in Erlangen haben die Prüfer die Anzahl der Durchreisenden rückwirkend zum 1.1.2005 hochgerechnet und nachzuentrichtende RV-Beiträge von ca. 12.000 € samt entsprechender Säumniszuschläge ermittelt. Auch wenn dadurch für keine einzige Person eine erhöhte Rentenanwartschaft gutgeschrieben werden kann, haben wir die Gesamtsumme mittlerweile beglichen, nachdem diese Rechtsauslegung durch unsere Rechtsaufsichtsbehörde BayStMAS bestätigt wurde.

 

In der Folge wurde selbstverständlich auch unsere Praxis gegenüber Durchreisenden umgestellt: So wird jetzt an Durchreisende nicht nur für jeden Tag der sog. Tagessatz (anteiliger Regelsatz) ausbezahlt, sondern es muss jetzt für diesen einen Tag auch eine gleichzeitige Anmeldung und Abmeldung des Durchreisenden zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung mit entsprechender Beitragsabführung erfolgen (falls der Durchreisende seine Rentenversicherungsnummer, bzw. seinen Sozialversicherungsausweis nicht vorlegen kann, müssen diese Daten erst aufwändig durch Rückfragen ermittelt werden). Dieses Verfahren erfordert natürlich auch, dass Durchreisende jetzt erst einen förmlichen SGB II-Antrag ausfüllen und die Sachbearbeiter einen kompletten Datensatz anlegen und eingeben müssen. Gleichzeitig riskieren wir damit, dass unsere monatlichen Datenübermittlungen von der BA als unvollständig – und damit fehlerhaft – kritisiert werden, weil diese Datensätze der Durchreisenden logischerweise im Bereich des Fallmanagements keine Angaben enthalten (die Vornahme eines Profilings mit anschließendem Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung sind bei Durchreisenden allein aus zeitlichen Gründen nicht machbar).

 

Hier zeigt sich, dass die gesetzliche Gewährung eines Leistungsanspruchs in bestimmten Fällen bei der Umsetzung in der Praxis an gewisse Grenzen stößt – auf die versprochenen Sonderregelungen für Durchreisende warten wir seit über 5 Jahren!

 

Im Gegenzug führen auch aktuelle Nachlässigkeiten des BMAS zu zusätzlichen Belastungen unserer Leistungssachbearbeiter: So hat das BMAS Ende 2008 für SGB II-Empfänger mit Zusatzeinkommen (z. B. Rente, Pension) eine Änderung der Richtlinien der Krankenkassen zur Ermittlung der Krankenkassenbeiträge erwirkt. Von dieser Änderung der Richtlinien wurden jedoch nur die ARGEN, nicht aber die Optionskommunen informiert, mit der Folge, dass wir im gesamten Jahr 2009 in diesen Fällen zu hohe Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherung abgeführt haben. Diese müssen jetzt in jedem Einzelfall von uns neu berechnet und die Überzahlungen vom Gesundheitsfonds zurückgefordert werden.

 

 

6. Weitere Gesetzesvorhaben im Bereich SGB II

 

Neben der aktuell in Arbeit befindlichen Verfassungs- und Gesetzesänderung zur Organisationsreform der SGB II-Stellen sind im Bereich des SGB II noch weitere Gesetzesänderungen in Planung, bzw. in Arbeit:

 

·      Im zweiten Halbjahr 2010 muss die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Neuberechnung der SGB II-Regelsätze vorgenommen werden, nachdem für den Herbst das Vorliegen der neuen EVS Zahlen durch das statistische Bundesamt zu erwarten ist.

 

·      Die notwendige gesetzliche Festlegung des KdU-Bundesansteils für 2010 steht immer noch aus. Der entsprechende Gesetzentwurf wurde zwar vom Bundestag beschlossen, vom Bundesrat jedoch blockiert – das fällige Verfahren vor dem Vermittlungsausschuss ruht derzeit.

 

·      Die jetzt fertig gestellte Jahresabrechnung 2009 ist die erste Jahresabrechnung, die nach den Maßstäben der zum 1.5.2008 in Kraft getretenen KoAVV (Kommunalträger Abrechnungsverwaltungsvorschrift) zu erstellen war. Ohne ein Mindestmaß an praktischer Erfahrung mit diesem neuen Regelwerk abzuwarten, strebt das BMAS derzeit bereits wieder umfangreiche Änderungen in dieser KoAVV an. Nach den bisherigen Erfahrungen ist wohl kaum damit zu rechnen, dass es dabei zu wesentlichen Vereinfachungen oder zu Verbesserungen zu Gunsten der Kommunen kommen wird.

 

·      Entsprechend dem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag soll es im Laufe des Jahres 2011 zu einer Überarbeitung der sog. Hinzuverdienstregelung kommen (in welchem Umfang werden eigene Einkünfte auf SGB II-Ansprüche angerechnet?)

 

·      Außerdem soll auch im Lauf des Jahres 2011 eine komplette, neue Überarbeitung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente erfolgen, dessen überarbeitete Neufassung erst zum 1.1.2009 in Kraft getreten ist.

 


Anlagen:        Änderung des Grundgesetzes

                        Eckwerte

                        Monatlicher Mittelverbrauch

                        Sachstandsbericht der GGFA + Anlage