Betreff
Fraktionsantrag Nr. 086/2022 der Fraktion erlanger linke "Entfernung der 'Reichsadler' von öffentlichen Gebäuden der Stadt"
Vorlage
45/015/2022
Aktenzeichen
IV/45/JA002-T.2157
Art
Beschlussvorlage

1.            Der Bericht der Verwaltung dient zur Kenntnis.

 

2.            Die Stadt plädiert gegenüber dem Freistaat Bayern dafür, beide Reichsadler im Bauschmuck des Amtsgerichts und der Friedrich-Rückert-Schule an Ort und Stelle zu belassen. Sie werden um Informationsschilder ergänzt, die den Entstehungskontext historisch fundiert erläutern. Für deren Anbringung ist der Freistaat als Eigentümer zuständig.

 

3.            Der Fraktionsantrag Nr. 086/2022 der Fraktion erlanger linke ist damit bearbeitet.


Sachbericht

 

1.      Rechtslage:

 

Das Verbot der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen nach § 86 StGB umfasst u. a. Symbole der Partei NSDAP und somit auch das Hakenkreuz. Die Symbole des von Nationalsozialisten regierten deutschen Staates unterliegen diesem Verbot nicht.

Der Reichsadler ist demnach von diesem Verbot nicht erfasst. Vielmehr wird das Symbol des Adlers bereits seit dem Mittelalter als Hoheitszeichen zunächst für das Heilige Römische Reich deutscher Nation, später für das Deutsche Kaiserreich, die Weimarer Republik und ebenso auch heute in der Bundesrepublik genutzt. Die stilistische Ausformung der Adlerfiguren und damit ihre Anmutung variiert dabei aber erheblich. In der NS-Zeit wurde der Adler mit Hakenkreuz zudem als Symbol für die NSDAP genutzt – dann aber mit aus Sicht der Betrachter*innen nach rechts gewandtem Kopf. Beide Erlanger Adler wenden den Kopf nach links (s. Anlage) und sind also demnach als Reichsadler zu deuten.

2.      Bewertung:

Das Amtsgericht und die Friedrich-Rückert-Schule, beides staatliche Gebäude, sind Teil des Erlanger Stadtbildes und repräsentieren einen Abschnitt der Erlanger Geschichte. Beide Gebäude werden bis heute in ihrer ursprünglichen Funktion genutzt. Im Gegensatz zu anderen Städten, wie etwa Nürnberg, verfügt Erlangen nur über sehr wenige und wenig hervorstechende Baudenkmäler aus der Zeit zwischen 1933 und 1945. Aus der Perspektive einer historischen Bildung zur immer wieder neuen kritischen Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit ist es als Chance zu begreifen, dass solche Zeugnisse der Geschichte in einer Stadt sichtbar bleiben. Das Stadtbild als Spiegel der Stadtgeschichte darf nicht nur die positiven Phasen der Vergangenheit wiedergeben, sondern muss möglichst allen Epochen Rechnung tragen.

Am 22.6.2020 schrieb der renommierte Bauhistoriker Arnold Bartetzky in der FAZ: „Wenn aber die Tendenz zur Säuberung des öffentlichen Raums von allen Geschichtszeugnissen, die heute Anstoß erregen oder von jemandem als beleidigend empfunden werden könnten, anhält, steht ein großer Teil des Denkmalbestands auf dem Spiel. Besser ist es, gerade die belastenden Denkmäler als Anstoß zur Auseinandersetzung mit der Geschichte zu nutzen – und zwar nicht in Museen, sondern gerade im öffentlichen Raum, vor vollem Publikum. […] Eine liberale Gesellschaft sollte ertragen, dass nicht alles, was im öffentlichen Raum steht, ihrem heutigen Weltbild entspricht. Das unterscheidet uns von Diktaturen, autoritären Regimen und religiösen Fanatikern.“ Diesem Votum ist aus Sicht des Stadtarchivs zuzustimmen.

Die in Rede stehenden Portale (Abbildungen s. Anlage) gehören zu den wenigen Stellen, wo sich NS-Architektur und -Dekor in Erlangen greifen lassen. Zweifelsohne stellen beide Skulpturen eindeutige Reminiszenzen an die Zeit des Nationalsozialismus dar. Insbesondere für Betrachter*innen mit entsprechenden (kunst-)historischen Vorkenntnissen ist die zeittypische Bildsprache „lesbar“. Im Falle der Rückert-Schule kommt noch die von der Darstellung transportierte Botschaft hinzu, die Kinder als wichtige Stützen des NS-Staates anspricht. Es ist daher verständlich, dass dieser Bauschmuck Anstoß erregt – und gerade darin besteht seine wichtige Funktion für ein historisches Bewusstsein, zumal durch die Entfernung der Hakenkreuze im Bildfeld hier die Niederlage der Nationalsozialisten dokumentiert wird. NS-Geschichte spielte sich eben nicht nur in Berlin oder Nürnberg ab und wird nicht nur in Schwarz-Weiß-Fotografien und an Gedenkorten erfahrbar. Die Verbindung der eigenen Lebenswelt mit Ereignissen und Strukturen der Zeit des Nationalsozialismus verdeutlicht sehr viel eindrücklicher die Verstrickung einer gesamten Gesellschaft in diese Epoche und damit die Relevanz des Themas für jede*n Einzelne*n.

Eine Entfernung der beiden Figuren von der jeweiligen Fassade würde aus Sicht des Stadtarchivs daher eine nicht wiedergutzumachende Zerstörung von historischem Erbe bedeuten und eine Chance für historische Bildungsarbeit und städtische Erinnerung eliminieren. Eine Musealisierung der Objekte würde die Vergegenwärtigung und Auseinandersetzung mit der NS-Zeit stark einschränken, besteht die Chance doch eben darin, dass sich nicht nur der geschichtsinteressierte Museumsbesucher gemäß eigenem Entschluss mit der Geschichte der Stadt beschäftigt, sondern jede*r Erlanger*in oder jede*r Besucher*in, der/die im Alltag aufmerksam die Gebäude passiert. Zudem wären die beiden Skulpturen nicht unbedingt Teil einer musealen Dauerausstellung, sodass sie möglicherweise ohnehin für Besucher*innen nicht sichtbar wären.

Den im Antrag geäußerten alternativen Vorschlag zur Anbringung von Informationsschildern, die über den historischen Kontext aufklären, möchte das Stadtarchiv aufgreifen. Bei beiden Gebäuden stellt der Dekor nicht (mehr) den Bauschmuck eines repräsentativen Haupteingangs dar, sondern eines Seiteneingangs. Bei beiden Bauten bietet sich also die einmalige Gelegenheit, an geeigneter Stelle Informationen zu Baugeschichte und Nutzung der Gebäude in der NS-Zeit anzubringen und die auffälligen Objekte direkt vor Ort zu kontextualisieren. Im Falle der Schule könnte in Zusammenarbeit mit den Schüler*innen und Lehrer*innen eine Information zur Geschichte der eigenen Schule erarbeitet werden – selbstverständlich in kindgerechter Form. In diesem Fall würde sich vielleicht sogar ein kunstpädagogisches Projekt mit der folgenden Errichtung eines „Gegendenkmals“ anbieten. In jedem Fall sollte eine historisch fundierte Erläuterung erfolgen.

 


Anlagen:             Anlage 1 - Baulicher Bestand von Amtsgericht und Friedrich-Rückert-Schule
                               Anlage 2 - Fraktionsantrag Nr. 086/2022 der Fraktion erlanger linke