Betreff
Erlass der Abstandsflächensatzung (AFS)
Vorlage
30/019/2016
Aktenzeichen
III/30; VI/63
Art
Beschlussvorlage

Die Satzung der Stadt Erlangen über die Tiefe der Abstandsflächen (Abstandsflächensatzung - AFS) (Entwurf vom 02.08.2017, Anlage 1) wird beschlossen.

 


1. Ausgangslage

Die Stadt Erlangen ist aufgrund ihrer wirtschaftlichen und geografischen Gegebenheiten eine sehr attraktive Stadt. Die Einwohnerzahl der Stadt Erlangen steigt stetig an. Alleine innerhalb der letzten 10 Jahre war ein Zuwachs von ca. 7.000 Einwohnern zu verzeichnen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Trend weiter anhalten wird, auch im Hinblick auf die aktuellen Flüchtlingszahlen und die damit verbundene Aufgabe, Wohnraum für anerkannte Flüchtlinge zu schaffen.

 

Aufgrund des räumlich begrenzten Stadtgebietes kann diese Herausforderung nur durch die Innenentwicklung bestehender Flächen bewältigt werden. Die Möglichkeit, durch entsprechende Nachverdichtung zügig neuen Wohnraum in signifikantem Maße zu generieren, wird jedoch durch das sehr strenge bayerische Abstandsflächenrecht erschwert bzw. bisweilen unmöglich gemacht: Grundsätzlich ist die Wandhöhe (= 1 H) einzuhalten, mindestens jedoch 3 m; an 2 Seiten darf dabei die Abstandsflächentiefe auf 0,5 H, mindestens 3 m, reduziert werden.

 

Zunehmend werden daher von Bauherren, die ihre Grundstücke weiterentwickeln wollen, immer weitreichendere Abweichungsanträge von den geltenden Abstandsflächenvorschriften gestellt. Diese Abweichungen können häufig nicht erteilt werden, da die Bayerische Bauordnung (BayBO) eine grundstücksbezogene Atypik (ungewöhnlicher Grundstückszuschnitt, unterschiedliche Höhenlage, Vorhandensein eines grenznahen Gebäudes auf dem Nachbargrundstück, etc.) voraussetzt, um den Anwendungsbereich des Abweichungstatbestandes zu eröffnen. Liegt ein solcher atypischer Fall nicht vor, besteht aus Rechtsgründen keine Möglichkeit, von den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO abzuweichen.

 

2. Geplante Maßnahme

Um eine wirkungsvolle Bebauung und zugleich optimale Ausnutzung eines Grundstücks zu ermöglichen, soll daher die den Gemeinden vom Landesgesetzgeber eröffnete Möglichkeit genutzt werden, ein modifiziertes Abstandsflächensystem mittels einer Abstandsflächensatzung einzuführen, indem über eine Abstandsflächensatzung gemäß Art. 6 Abs. 7 BayBO geregelt wird, dass:

 

  1. nur die Höhe von Dächern mit einer Neigung von weniger als 70 Grad zu einem Drittel, bei einer größeren Neigung der Wandhöhe voll hinzugerechnet wird und

 

  1. die Tiefe der Abstandsfläche 0,4 H, mindestens 3 m, in Gewerbe- und Industriegebieten  0,2 H, mindestens 3 m, beträgt.

 
Bereits bestehende und auch zukünftige Sonderregelungen in Bebauungsplänen oder anderen städtebaulichen Satzungen sollen durch diese Abstandsflächensatzung nicht berührt werden. Daher enthält der vorgelegte Satzungsentwurf in § 1 Abs. 2 einen entsprechenden Ausschlusstatbestand. Die besonderen Abstandsflächenregelungen, die im Rahmen eines Abwägungsprozesses innerhalb eines Bebauungsplanverfahrens festgelegt wurden, haben also Vorrang vor den Regelungen dieser Abstandsflächensatzung. Dadurch soll gewährleistet werden, dass die Stadt Erlangen in Gebieten, in denen eine weitere bauliche Verdichtung nicht gewünscht ist, jederzeit durch bauleitplanerische Festsetzungen nachsteuern kann.

In den Gremiensitzungen wird eine Übersichtskarte ausgehängt, aus der erkennbar ist, in welchen Bereichen des Stadtgebietes zum jetzigen Zeitpunkt Sonderregelungen in Bebauungsplänen bestehen (und die Abstandsflächensatzung dementsprechend keine Geltung hat). Verkleinert ist diese Übersichtskarte auch dieser Vorlage als Anlage 2 beigefügt.


Die Einführung der Möglichkeit, eine Abstandsflächensatzung zu erlassen, basiert auf der Musterbauordnung 2002, wonach die Abstandsflächentiefe ebenfalls auf 0,4 H reduziert werden sollte. Mittlerweile haben die meisten (12) Bundesländer die 0,4 H – Regelung der Musterbauordnung in ihre Landesbauordnungen übernommen oder aber zumindest die Abstandsflächentiefe auf ein geringeres Maß als 1 H reduziert (BB, NI, NRW). Bayern ist das einzige Bundesland, in dem die Landesbauordnung noch eine regelmäßige Abstandsflächentiefe von 1 H vorsieht.

 

Mit der Einführung des Art. 6 Abs. 7 BayBO wollte der bayerische Gesetzgeber den Gemeinden die Möglichkeit geben, selbst eine Abstandsflächentiefe von 0,4 H im jeweiligen Gemeindegebiet einzuführen. Aufgrund dieser sogenannten Experimentierklausel kann sich somit jede Gemeinde zwischen zwei verschiedenen Abstandsflächensystemen entscheiden.

 

3. Erwartete Auswirkungen

Aus Gründen der Rechtssicherheit sowie zur Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist der Erlass einer entsprechenden Abstandsflächensatzung aus bauordnungsrechtlicher Sicht eindeutig vorzugswürdig gegenüber der bisherigen Praxis, die allenfalls mit Abweichungen von der vorgeschriebenen Abstandsflächentiefe von 1 H arbeiten kann.

 

Zudem ist mit einer geringeren Bearbeitungsdauer der Bauanträge zu rechnen, da beantragte Abweichungen in der Regel zusätzliche Beratungs- und Besprechungstermine sowie umfangreiche Abwägungsentscheidungen erfordern. Mit der Einführung einer Abstandsflächensatzung entfällt auch gleichzeitig das Ausnahmemodell des sogenannten 16 m-Privilegs (Art. 6 Abs. 6 BayBO), dessen Anwendung in der Praxis ebenfalls häufig zu erhöhtem Beratungsbedarf führt.

 

Mit dem Erlass einer Abstandsflächensatzung wird der Rechtszustand demjenigen angepasst, der schon jetzt bereits in großen Teilen von Deutschland herrscht. Weiterhin wird ein allgemeingültiges geringeres Abstandsflächenmaß eingeführt, das eine engere Bebauung ohne Einzelfallausnahmen ermöglicht, was zu einer erhöhten Akzeptanz und zu Verminderungen von nachbarlichen Rechtsstreitigkeiten führen kann.

 

Eine einzuhaltende Abstandsflächentiefe von nur noch 0,4 H kann somit eine höhere bauliche Dichte ermöglichen (begrenzt durch Obergrenzen für das Maß der baulichen Nutzung) und dadurch die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum deutlich erleichtern.

 

Auch wird das Thema Bauen im Bestand und Klimawandel in den kommenden Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erlangen. Die städtebauliche Entwicklung von Bestandsquartieren birgt ein beträchtliches Potenzial für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung.  Zum einen dient die Innenentwicklung der Schonung von bestehenden Freiräumen durch die Verminderung neuer Freiflächeninanspruchnahme im Außenbereich (Innenentwicklung vor Außenentwicklung), zum anderen können durch die Nutzung bereits vorhandener Infrastrukturen Ressourcen geschont werden.

 

Zudem lassen sich durch verringerte Grenzabstände Gebäudevolumen lagegünstiger positionieren und somit Grundstücke wirtschaftlicher ausnutzen. So entstehen beispielsweise durch das Heranrücken von Baukörpern an die Erschließung  klare Raumkanten entlang der Straßenflucht zugunsten der verbleibenden Grundstücksfläche.   

 

Der Planungs- und Baureferent der Stadt Nürnberg berichtete am 10. Juli 2017 in einem Gesprächstermin bei der Stadt Erlangen über Erfahrungen der Stadt Nürnberg mit der dortigen Abstandsflächensatzung. Die anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Fraktionen konnten hierzu ihre Fragen stellen. Das Fazit aus Nürnberger Sicht lässt sich mit Verfahrensvereinfachung und mehr Flexibilität für die Bauherren zusammenfassen.

 

Die Verwaltung ist letztlich der Auffassung, dass die Vorteile sowohl für die Bauherrn (Rechtssicherheit, Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes etc.) als auch für die Stadt (Verschlankung des Verwaltungsvollzugs etc.) deutlich überwiegen.

 


Anlagen:        Entwurf der Abstandsflächensatzung vom 02.08.2017 (Anlage 1)
                       Übersichtskarte (Anlage 2)